… und noch einmal

Vor ein paar Jahren habe ich hier über einen Rückweisungsentscheid an das Obergericht des Kantons Aargau berichtet.

Inzwischen hat das Obergericht erneut entschieden, ist dabei aber erneut in Willkür verfallen und wird den Fall noch ein drittes Mal behandeln müssen (BGer 6B_262/2016 vom 06.01.2016):

Indem sie vom Gutachten ohne erkennbaren Grund abweicht und annimmt, das Opfer sei für den Beschwerdeführer bereits erkennbar gewesen, als sich dieser an der Kreuzung Bahnhofstrasse/Mitteldorfstrasse befunden habe, verfällt sie in Willkür und verletzt sie den Grundsatz “in dubio pro reo” (E. 2.4).

Interessant sind hier auch die Ausführungen des Bundesgerichts zur Wahrscheinlichkeitstheorie und die anschliessende Zurechnung:

Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Weitere Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen) [E. 3.2.1].

Und dann die Anwendung (und die Feststellung einer weiteren Verletzung von Bundesrecht):

Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er hätte ca. 30 Meter vor dem Fussgängerstreifen das Opfer erblicken müssen. Die zweite Kollision wäre vermeidbar gewesen, wenn der Beschwerdeführer bereits reagiert hätte, als das Opfer die Strasse betrat. Damit verletzt die Vorinstanz Bundesrecht (Art. 31 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 VRV und Art. 33 Abs. 2 SVG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 VRV sowie Art. 117 StGB). Als der Beschwerdeführer sich auf der Kreuzung Bahnhofstrasse/Mitteldorfstrasse befand, konnte er das Opfer, welches im selben Moment den Fussgängerstreifen betrat, nicht erkennen (E. 2.4 hievor). Darüber hinaus oblag ihm entgegen dem Dafürhalten der Beschwerdegegner 1-3 keine Pflicht, nach Fussgängern auf den weiter vorne liegenden Fussgängerstreifen und den beiden Trottoirseiten Ausschau zu halten. Der Beschwerdeführer liess im besagten Zeitpunkt an der Kreuzung ein anderes Fahrzeug einmünden. Diese Verkehrssituation war unter Berücksichtigung der konkreten Sicht- und Verkehrsverhältnisse die wesentliche und voraussehbare Gefahrenquelle, auf die der Beschwerdeführer sein Augenmerk schwergewichtig richten musste. Auch verlangte die Situation beim Fussgängerstreifen keine unmittelbare Reaktion des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer nach den vorinstanzlichen Erwägungen (Entscheid S. 11) unter Berücksichtigung eines Anhaltewegs von 15.2 Metern bei einer unmittelbaren Reaktion im Zeitpunkt des Betretens des Fussgängerstreifens deutlich vor dem zweiten Kollisionspunkt zum Stillstand gekommen wäre, ist richtig aber irrelevant. Der Beschwerdeführer hatte, selbst wenn das Opfer erkennbar gewesen wäre, keinerlei Veranlassung, ein Bremsmanöver einzuleiten. Eine Sorgfaltspflichtverletzung liegt deshalb nicht vor, als der Beschwerdeführer die genannte Kreuzung befuhr und das Opfer die Strasse betrat (E. 3.3.1).

[…]

Entscheidend ist nicht die Frage nach der Vermeidung des Unfalls, sondern jene nach den tödlichen Verletzungen. Es liegt auf der Hand, dass das Fahrzeug des Beschwerdeführers bei einer früheren Reaktion eher zum Stillstand gekommen wäre. Dadurch wäre das Opfer weniger weit mitgeschleift worden. Laut IRM Bern erlitt das Opfer unter anderem ein stumpfes Schädelhirntrauma (insbesondere Scharnierbruch der Schädelbasis) und ein stumpfes Brustkorbtrauma (insbesondere Abriss des rechten Hauptbronchus und teilweises Einreissen des linken Hauptbronchus, Zerreissung des Herzbeutels sowie Abriss der Brusthauptschlagader). Diese Verletzungen seien allein todesursächlich gewesen. Sie seien höchstwahrscheinlich entstanden, als der Kopf und der Brustkorb des Opfers überfahren und zwischen der Fahrbahn und dem Unterboden des zweiten Fahrzeugs zusammengedrückt worden seien (Gutachten IRM Bern S. 11 und 15). Ob diese massiven Körperverletzungen mit Todesfolgen weniger schwerwiegend ausgefallen wären, wenn das Opfer über eine kürzere Distanz mitgeschleift worden wäre, kann hier nicht abschliessend beurteilt werden und haben die kantonalen Behörden durch den Beizug von Sachverständigen abzuklären (Urteil 6B_483/2014 vom 12. Mai 2015 E. 2.3) [3.3.5].