Akteneinsichtsrecht nicht durchsetzbar

Ein Akteneinsichtsrecht vor der ersten polizeilichen Einvernahme ist nach einem neuen Urteil des Bundesgerichts nicht durchsetzbar (BGE 1B_261/2011 vom 06.06.2011; Publikation in der AS vorgesehen). Es trat auf eine Beschwerde gegen das abgewiesene Akteneinsichtsgesuch nicht ein (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Den nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur begründet das Bundesgericht mit dem Recht, die Aussage zu verweigern:

Au demeurant, le prévenu confronté à un refus de la police de lui donner accès au dossier pourra soit répondre aux questions qui lui sont posées, soit faire usage du droit de se taire qui lui est reconnu par le droit constitutionnel et conventionnel ainsi que par les art. 113 al. 1 et 158 al. 1 let. b CPP. Un éventuel refus de répondre exprimé lors de sa première audition ne saurait lui être opposé pour exclure ensuite la consultation du dossier (E. 2.4).


Das Bundesgericht weist auf zwei (angebliche) Ausnahmen hin, nämlich auf das Verfahren vor Haftgericht nach Art. 225 Abs. 2 StPO und auf das Prinzip der Waffengleichheit nach Art. 101 Abs. 1, Art. 104 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 1 lit. ab StPO, die hier aber nicht zum Tragen kamen.

Bei Art. 225 StPO handelt es sich freilich um das Einsichtsrecht im kontradiktorischen Haftgerichtsverfahren, das zwangsläufig nach Eröffnung der Untersuchung stattfindet. Art. 225 StPO betrifft damit eine völlig andere Konstellation.

Die Ausführungen zur Waffengleichheit stützt das Bundesgericht auf Art. 29 BV, Art. 6 EMRK und seine bisherige Rechtsprechung:

Tel qu’il est ancré aux art. 29 al. 1 Cst. et 6 § 1 CEDH, ce principe requiert que chaque partie se voie offrir une possibilité raisonnable de présenter sa cause dans des conditions qui ne la placent pas dans une situation de net désavantage par rapport à son adversaire. Il suppose notamment que les parties aient un accès identique aux pièces versées au dossier (ATF 122 V 157 consid. 2b p. 163/164; arrêt 6P.125/2005 du 23 janvier 2006 consid. 4.2; cf. MICHEL HOTTELIER, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n. 21 ad art. 3 CPP, p. 22). En matière de consultation de dossier, le législateur a concrétisé ce principe aux art. 101 al. 1, 104 al. 1 et 107 al. 1 let. a CPP qui excluent, sauf exception (art. 108 CPP), un traitement différent des parties.

Was vor Bundesgericht nicht durchsetzbar ist, weil das Bundesgericht gar nicht eintritt (obwohl es dies gestützt auf seine frühere Rechtsprechung durchaus gekonnt hätte), wird damit auch bei den Vorinstanzen nicht durchsetzbar sein, obwohl sie sich nicht auf Art. 93 BGG berufen können.

Unter dem Strich habe ich gegen den neuen Entscheid des Bundesgerichts wenig einzuwenden, zumal er wohl dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Das ändert freilich nichts daran, dass die Verweigerung der Akteneinsicht keiner der Beteiligten Vorteile bringt und mit den Verteidigungsrechten kaum vereinbar ist (wie soll eine wirksame Verteidigung aufgebaut werden, wenn die Akten geheim sind?). Kluge Beschuldigte werden vor Akteneinsicht ohnehin schweigen und kluge Polizisten – ja ja, auch die gibt es – werden die Akteneinsicht ohnehin nicht verweigern.