Anklageprinzip im Kanton Bern

Der Kanton Bern klammert sich weiterhin an sein traditionelles (und traditionell falsches) Verständnis des Anklagegrundsatzes. Daran scheinen auch die zahlreichen Beschwerden nichts zu ändern, welche das Bundesgericht mittlerweile gutgeheissen hat. Der Kanton Bern belegt eindrücklich, wie lange es dauert, bis an sich unbestrittene Ansprüche auch umgesetzt werden (die EMRK trat für die Schweiz und für Bern vor 40 Jahren in Kraft).

Dem jüngsten Entscheid (BGer 6B_1073/2014 vom 07.05.2015) ist folgendes zu entnehmen:

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz genügt es nicht, dass sich die einzelnen Vorwürfe aus den Beilagen zur Anklage ergeben. Die einer beschuldigten Person gemachten Vorwürfe müssen in der Anklage selbst enthalten sein. Werden die einzelnen Vorwürfe bzw. Sachverhalte in der Anklage nicht hinreichend umschrieben, sind die Voraussetzungen für eine gerichtliche Überprüfung nicht gegeben. Der Beschwerdeführer konnte vorliegend nicht wissen, welche der zahlreichen von A. in ihren schriftlichen Notizen und Aussagen geschilderten Vorfälle ihm vom Gericht als Nötigungshandlungen konkret vorgeworfen werden würden. Es kann einer beschuldigten Person nicht zugemutet werden, sich gegen sämtliche Vorwürfe, die sich aus den Beilagen oder anderen Akten zu einer Anklage ergeben, zu verteidigen und sich von vornherein gegen alle möglichen Eventualitäten zur Wehr zu setzen. In der Anzeige vom 30. Oktober 2008 werden die von der Vorinstanz beurteilten Taten entweder überhaupt nicht oder nicht hinreichend konkretisiert. Die einzelnen Nötigungshandlungen, die nach Auffassung der Vorinstanz durch Stalking begangen wurden, hätten in örtlicher, zeitlicher und sachverhaltlicher Hinsicht in der Anklage selbst enthalten sein müssen. Einzig der Vorfall des Aufs-Dach-Steigens wird in der Anklage in zeitlicher Hinsicht konkretisiert. Welchen Nötigungserfolg der Beschwerdeführer mit dieser Handlung herbeizuführen beabsichtigte, wird jedoch nicht ausgeführt. Dem Beschwerdeführer war es damit nicht möglich, sich sachgerecht und wirksam zu verteidigen (E. 1.5.2).

Noch interessanter ist die Frage, was die Vorinstanz nun damit macht. Es stehen ja immerhin ein paar Möglichkeiten zur Verfügung (Rückweisung an die erste Instanz, Rückweisung an die Staatsanwaltschaft, Einstellung). Was richtig ist, wird das Bundesgericht auch noch zu entscheiden haben.