Armenrecht?

Das Bundesgericht scheint die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege für jede einzelne Rüge zu prüfen. Das kann dazu führen, dass ein angefochtenes Urteils wegen Gutheissung einer Rüge aufgehoben wird, der Anwalt aber trotzdem auf dem grössten Teil seines Aufwands sitzen bleibt (vgl. BGer 6B_724/2017 vom 21.07.2017).

Wer als Anwalt eine Bundesgerichtsbeschwerde führt, weiss, wie gering die Erfolgsaussichten sind. Und weil er das weiss, packt er auch Rügen in die Rechtsschrift, die er isoliert nicht vorbringen würde, die aber vielleicht wider Erwarten doch durchdringen. Das gebietet  schon die berufsrechtliche Sorgfaltspflicht.

Möglich ist aber eben auch, dass das Bundesgericht das angefochtene Urteil zwar aus einem Grund aufhebt, die übrigen Beschwerdegründe aber als aussichtslos taxiert. Der Anwalt kriegt dann wie im zitierten Fall eine reduzierte Entschädigung, die seinen Aufwand nicht deckt und die er beim Klienten auch nicht in Rechnung stellen darf. Dieser zahlt dann übrigens trotz teilweisen Obsiegens noch die (ebenfalls reduzierten) Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Lehre aus dieser Praxis: Wer nicht pro bono arbeiten will und wer nicht im Internet lesen will, er führe aussichtslose Beschwerden, der vertrete vor Bundesgericht nur Klienten, die über die entsprechenden Mittel verfügen.

Das bezeichne ich als “cilling effect”. Das Bundesgericht formuliert es so:

Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Gesuch ist gegenstandslos geworden, soweit die Beschwerde in Strafsachen gutgeheissen wird. Im Übrigen ist das Gesuch abzuweisen, da die Beschwerde in den weiteren Punkten keine Aussicht auf Erfolg hatte. Demnach hat der Beschwerdeführer eine reduzierte Gerichtsgebühr von CHF 800.– zu zahlen und ist seinem Vertreter, Rechtsanwalt Raphaël Camp, eine reduzierte Entschädigung von CHF 1’000.– aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (E. 4).