Das Bundesgericht über sorgsame Personen

Im Jahr 2006 wurde ein Serbe nach abgelaufener Aufenthaltsbewilligung verhaftet und in seine Heimat ausgeschafft. Mangels Zustelldomizil wurde ihm der Strafbefehl wegen illegalen Aufenthalts durch Publikation im Amtsblatt “zugestellt”. Mit dem Strafbefehl wurde auch der Widerruf einer bedingten Freiheitsstrafe verfügt.

Anlässlich seiner Wiedereinreise im Jahr 2011 wurde der Mann verhaftet und dem Strafvollzug zugeführt. Er ersuchte vergeblich um Wiederherstellung der Einsprachefrist, um den damaligen Strafbefehl anzufechten. Das Bundesgericht beurteilt die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Frist als nicht erfüllt, weil die Säumnis nicht unverschuldet ist (Art. 94 Abs. 1 StPO):

Allgemein wird vorausgesetzt, dass es dem Betroffenen in seiner konkreten Situation unmöglich war, die fragliche Frist zu wahren oder mit der Fristwahrung einen Dritten zu betrauen (CHRISTOF RIEDO, Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Art. 94 N. 35 mit Hinweisen) (E. 1).

Das Bundesgericht hält dem Beschwerdeführer vor, dass er aufgrund früherer Erfahrungen mit einem Entscheid habe rechnen müssen:

Angesichts dieser persönlichen Erfahrungen musste der Beschwerdeführer damit rechnen, dass auch die Verzeigung beim Bezirksamt Baden mit einem Sachentscheid (Einstellung, Freispruch oder Verurteilung) seinen Abschluss finden werde. Dass er sich in einer “rechtfertigenden Pflichtenkollision” befunden haben will, welche das Verfahren hätte hinfällig werden lassen, überzeugt nicht. Im Gegenteil war seine Ausweisung ein klarer Fingerzeig, dass die Behörde seine Ansicht nicht teilte. Ansonsten hätte sie ihn nicht ausgeschafft (E. 1).

Dass er auch mit einem Widerruf rechnen musste, sagt das Bundesgericht nicht. Einen Fehler der Behörden sieht das Bundesgericht auch nicht:

Es trifft zwar zu, dass die Behörde den Beschwerdeführer darauf hätte aufmerksam machen können, ein Zustelldomizil anzugeben und auch die Folgen eines Unterlassens zu bedenken. Das wäre wünschenswert, um allfälligen Unklarheiten vorzubeugen und unnötige Verfahren zu vermeiden. Doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erfahrungen damit rechnen musste, das Verfahren werde mit einer Verfügung beendet. Als sorgsame Person hätte er etwas unternehmen müssen, um von der Verfügung Kenntnis nehmen zu können. Im Ergebnis ist die vorinstanzliche Beurteilung nicht zu beanstanden (E. 1, Hervorhebungen durch mich).

Dass der Beschwerdeführer von der Behörde nicht aufgeklärt wurde, beanstandet das Bundesgericht nicht etwa, weil es der Wahrung seiner Rechte gedient hätte, sondern weil dadurch “unnötige Verfahren” (wie das vorliegende?) vermeidbar wären.

Dass ein Strafbefehl nach Auffassung des Beschwerdeführers gar nicht hätte erlassen werden dürfen, interessiert das Bundesgericht nicht:

Der Beschwerdeführer stellt in Frage, ob überhaupt ein Strafbefehl hätte erlassen werden dürfen, und beanstandet die Modalitäten der Eröffnung. Diese Fragen betreffen den Sachentscheid, nicht jedoch die Fristwiederherstellung. Darauf ist nicht einzutreten (E. 2).

Dieses Argument greift m.E. zu kurz. Die Frage, ob das Strafbefehlsverfahren überhaupt zur Anwendung kommen durfte, betrifft doch auch die Frage, ob der Beschwerdeführer mit einem Strafbefehl und einem Widerruf rechnen musste.

Konsequent ist das Bundesgericht auch in seinem Kostenentscheid.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtskosten ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (E. 3).

Merke: Sorgsam muss nur der Rechtsunterworfene selbst sein, nicht aber die rechtsanwendende Behörde.