Der wahre Zweck der Beschwerdefrist

Die kurze gesetzliche Beschwerdefrist von 10 Tagen ist ein sehr wirksames Mittel, die Verteidigung auszuschalten. Besonders beliebt ist bei manchen Behörden, kurz vor Ferien und Festtagen ohne Vorankündigung gleichzeitig mehrere Verfügungen ohne die massgeblichen Akten zu eröffnen. Wenn das dann auch noch in Verfahren geschieht, die zuvor monatelang unbearbeitet geblieben waren, darf man wohl schon annehmen, der Eröffnungszeitpunkt sei nicht ganz zufällig gewählt.

Über einen Fall, in dem am selben Tag 23 Anordnungsverfügungen eröffnet wurden, hatte ich hier bereits hingewiesen. Das Bundesgericht doppelt nun – möglicherweise im gleichen Fall? – nach und teilt dem Verteidiger mit, dass er sich halt so organisieren muss, dass er auch 39 Beschwerden führen kann (BGer 1B_232/2017 vom 19.07.2017). Der Verteidiger begründete seine Beschwerden aber nur summarisch und verlangte eine Nachfrist nach Art. 385 Abs. 2 StPO. Das Bundesgericht erklärt ihm aber, dass Art. 385 Abs. 2 StPO nicht anwendbar sei:

Gemäss der mehrfach bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichts erlaubt Art. 385 Abs. 2 StPO nicht, eine mangelhafte Beschwerdebegründung zu ergänzen. Die Bestimmung bezweckt einzig, den Rechtsuchenden vor einem überspitzten Formalismus seitens der Behörden zu schützen. Es ist eine allgemeine Verfahrensregel, dass die Begründung vollständig in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein muss. Diese kann somit nicht später ergänzt oder korrigiert werden, zumal die Anwendung von Art. 385 Abs. 2 StPO nicht dazu dienen darf, die Tragweite von Art. 89 Abs. 1 StPO, welcher das Erstrecken gerichtlicher Fristen verbietet, zu umgehen (Urteile 1B_113/2017 vom 19. Juni 2017 E. 2.4.3; 6B_120/2016 vom 20. Juni 2016 E. 3.1 f.; 6B_207/2014 vom 2. Februar 2015 E. 5.3; 1B_363/2014 vom 7. Januar 2015 E. 2.1; 1B_183/2012 vom 20. November 2012 E. 2; je mit Hinweisen; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1309 Ziff. 2.9.1) [E. 2.4.3].

Richtig, und die gesetzliche Beschwerdefrist dient dazu, das gesetzliche Beschwerderecht zu umgehen. Art. 385 Abs. 2 StPO lautet übrigens wie folgt:

Erfüllt die Eingabe diese Anforderungen nicht, so weist die Rechtsmittelinstanz sie zur Verbesserung innerhalb einer kurzen Nachfrist zurück. Genügt die Eingabe auch nach Ablauf der Nachfrist den Anforderungen nicht, so tritt die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht ein.

Mögliche Lösung 1: Man reicht eine unbegründete Beschwerde ein oder “vergisst” das Rechtsbegehren. Dann kriegt man wohl die Nachfrist von Art. 385 Abs. 2 StPO.

Mögliche Lösung 2: Verzicht auf Beschwerde und die Unverwertbarkeit im Hauptverfahren geltend machen (darauf würde ich mich aber eher nicht verlassen wollen).

Mögliche Lösung 3: Verzicht auf Verteidigung gegen geheime Überwachungsmassnahmen.