Eröffnung von Nichtanhandnahmeverfügungen

Bei Erlass einer Nichtanhandnahmeverfügung stellt sich jeweils die Frage, wem sie zu eröffnen ist und in welchem Zeitpunkt. In Art. 310 StPO ist es nicht geregelt. Absatz 2 verweist aber immerhin auf die Einstellungsverfügung, die den Parteien und damit auch der beschuldigten Person zu eröffnen ist (beschuldigte Person ist nach Art. 111 Abs. 1 StPO auch, wer in einer Strafanzeige einer Straftat verdächtigt wird).

Das kann aber dazu führen, dass die beschuldigte Person Kenntnis über ein Strafverfahren gegen sie erhält, das (noch) gar nicht eröffnet ist. Angesprochen ist der Fall, in dem die Nichtanhandnahmeverfügung erfolgreich angefochten wird. Dies würde der beschuldigten Person die Möglichkeit geben, sich auf das kommende Verfahren “vorzubereiten”, was unmöglich im Sinne des Gesetzgebers sein kann.

Das Problem ist einfach zu lösen und wird in der Praxis meist auch entsprechend gelöst, nämlich indem die Verfügung der beschuldigten Person erst eröffnet wird, wenn sie “rechtskräftig” ist.

Das Bundesgericht sieht das freilich anders (BGer 1B_303/2017 vom 07.12.2017). Im zu entscheidenden Fall hat die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz (Beschwerde gegen eine Nichtanhandnahmeverfügung) die beschuldigte Person, die vorher keine Kenntnis des – nicht eröffneten – Strafverfahrens hatte, über das Verfahren orientiert. Das ist gemäss Bundesgericht richtig:

Nicht parteiöffentliche “geheime” Strafprozesse oder StPO-Beschwerdeverfahren sind – über die Zulässigkeit von (hier nicht streitigen) gesetzlich vorgesehenen vorübergehend geheimen Untersuchungshandlungen hinaus – gesetzes- und verfassungswidrig. Wenn gegen eine Person Strafanzeige erhoben wird, welche durch Nichtanhandnahmeverfügung förmlich erledigt wird, hat die beschuldigte Person grundsätzlich das Recht, über die Strafanzeige und deren förmliche Erledigung durch die Staatsanwaltschaft informiert zu werden (Art. 321 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 310 Abs. 2 StPO). Im vorliegenden Fall war (laut Nichtanhandnahmeverfügung) der angezeigte Geschäftsmann als Beschuldigter zwar ausdrücklich Partei des erstinstanzlichen Verfahrens (Art. 104 Abs. 1 lit. a StPO). Die Staatsanwaltschaft hat jedoch ausnahmsweise auf eine  Zustellung der Nichtanhandnahmeverfügung an ihn verzichtet, da er im Ausland (Moskau) wohnhaft und von der Nichtanhandnahme faktisch nicht beschwert sei.
Schon im erstinstanzlichen Verfahren vor der Staatsanwaltschaft hatten die Beschwerdeführerinnen im Rahmen ihrer Strafanzeige ausreichend Gelegenheit, der verfahrensleitenden Strafbehörde die allfällige Notwendigkeit von geheimen Untersuchungs- oder von vorsorglichen Sicherungsmassnahmen (etwa einer Beschlagnahmeverfügung) darzulegen. Weder hat die Staatsanwaltschaft entsprechende Sicherungsmassnahmen verfügt, noch hat sie eine Strafuntersuchung gegen den Angezeigten eröffnet. Vielmehr hat sie die Strafanzeige mittels Nichtanhandnahmeverfügung erledigt. In ihrer Begründung legte sie dar, dass sich aus der Strafanzeige keine deliktische Herkunft von Vermögenswerten auf einem Bankkonto in der Schweiz ableiten lasse. Nachdem die Strafanzeigerinnen gegen die erfolgte Nichtanhandnahmeverfügung Beschwerde erhoben haben, muss der direkt betroffene Beschuldigte und private Beschwerdegegner – spätestens in diesem Verfahrensstadium – seine von Verfassung und Gesetz gewährleisteten Parteirechte ausüben können (Art. 390 Abs. 2 StPO; Art. 29 Abs. 2 BV). Zwar machen die Beschwerdeführerinnen geltend, die Nichtanhandnahmeverfügung sei zu Unrecht erfolgt und es bestehe die Gefahr, dass strafprozessuale Sicherungsmassnahmen zu spät kämen. Diese Vorbringen lassen den angefochtenen prozessleitenden Entscheid des Obergerichtes jedoch nicht als bundesrechtswidrig erscheinen:
Die Vorbringen der Beschwerdeführerinnen rechtfertigen kein Geheimverfahren gegen den Beschuldigten und keine Ausschaltung seiner Parteirechte. Bei ihrer Behauptung, dieser habe sich der Geldwäscherei schuldig gemacht, handelt es sich zunächst um ihren Parteistandpunkt, der von der Staatsanwaltschaft erstinstanzlich bereits verworfen wurde und der im parteiöffentlichen kontradiktorischen StPO-Beschwerdeverfahren – soweit auf die vorinstanzliche Beschwerde überhaupt einzutreten sein wird – vom Obergericht erst noch zu prüfen wäre. Überdies stünde es den Beschwerdeführerinnen nötigenfalls frei, auch bei der vorinstanzlichen Verfahrensleitung zu beantragen, diese habe “superprovisorisch” (ohne zuvor eine Stellungnahme des angezeigten Beschwerdegegners einzuholen) eine strafprozessuale Sicherungsmassnahme (etwa eine provisorische Einziehungsbeschlagnahme bzw. Kontensperre) zu verfügen (Art. 388 i.V.m. Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO). Ein ablehnender Entscheid über entsprechende Anträge auf  vorsorgliche Massnahmen bildet nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung. Wie den Akten zu entnehmen ist, haben die Beschwerdeführerinnen auch in ihrer Beschwerdeschrift vom 10. April 2017 an das Obergericht keinen solchen Verfahrensantrag gestellt. Insoweit gehen ihre Vorbringen, insbesondere zu ihrem “Sicherungsanspruch” gestützt auf Art. 263 Abs. 1 StPO, am Gegenstand des angefochtenen  prozessleitenden Entscheides (Art. 390 Abs. 2 StPO) vorbei. In der vorliegenden Konstellation rechtfertigt sich somit auch keine Einschränkung der Gehörs- und Parteirechte wegen akuter Rechtsmissbrauchsgefahr oder überwiegenden Privatinteressen der Beschwerdeführerinnen (Art. 108 Abs. 1 StPO) [E. 3.2].