Erpressung durch Ausübung eines Retentionsrechts?

Das Bundesgericht kassiert die Verurteilung eines Beraters, der sich zur Sicherung seines Honoraranspruchs einen Inhabeschuldbrief zu Pfand übergeben liess (BGer 6B_1257/2016 vom 12.06.2017). Der Berater wollte den Schuldbrief nur gegen Bezahlung von CHF 150,000.00 herausgeben, was offenbar weit über seiner Honorarforderung lag.

Der Entscheid setzt sich mit der Frage des angedrohten ernstlichen Nachteils i.S.v. Art. 156 und 181 StGB auseinander. Im Gegensatz zur Vorinstanz leuchtet es dem Bundesgericht nicht ein,

inwiefern der Privatkläger oder ein besonnener Dritter in seiner Lage “aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen durch seinen Rechtsanwalt und den Notar” davon ausgehen durfte bzw. musste, das Grundstückgeschäft wäre ohne den physischen Besitz des Inhaberschuldbriefs gefährdet gewesen (E. 5.1).

Zugestanden, die Unterpfandliegenschaft kann natürlich auch ohne Besitz eines darauf haftenden Schuldbriefs veräussert werden. Ganz risikolos ist das aber für den Käufer wohl aber nicht. Im Einzelnen begründet das Bundesgericht seinen Freispruch wie folgt:

Das Retentionsrecht bewirkt, dass der berechtigte Gläubiger die Rückgabe der Pfandsache (lediglich) anzubieten hat, während der Eigentümer und Schuldner die Forderung gegen ihn zu erfüllen oder hinreichende Sicherheit hierfür zu leisten hat, worüber im Streitfall das Gericht entscheidet (Art. 898 Abs. 1 ZGB; Urteil 4C.464/1994 vom 18. Oktober 1995 E. 4b mit Hinweis auf die Lehre, in: Rep 1995 S. 92; vgl. auch BGE 129 III 535 E. 3.2.1 S. 541). Es besteht ungeachtet der finanziellen und persönlichen Situation, in welcher sich der Pfandeigentümer im Zeitpunkt der Rechtsausübung befindet. In diese selbe Rechtslage haben sich vorliegend der Privatkläger und seine Ehefrau gebracht durch die (bedingungslose) Übergabe des Inhaberschuldbriefes zur Sicherung der Honoraransprüche aus dem Beratungsvertrag vom 16. August 2010, wie der Beschwerdeführer vorbringt. Ob unter diesen Umständen ihre Willens (bildungs- und -betätigungs) freiheit im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften, welche die damit belastete Liegenschaft betrafen, durch die Weigerung, das Wertpapier zurückzugeben, bevor seine Honorarforderung beglichen oder hinreichend sichergestellt war, (noch weiter) eingeschränkt werden konnte, ist zumindest fraglich.

So oder anders erscheint es, objektiv betrachtet, ohnehin nicht nachvollziehbar, dass der Privatkläger und seine Ehefrau als besonnene, anwaltlich beratene Personen in die Bezahlung eines Mehrfachen des nach ihrer Auffassung Geschuldeten einwilligten. Nach Feststellung des Obergerichts war die geltend gemachte Summe von Fr. 150’000.– gut fünfmal höher verglichen mit dem Honorar im Rahmen des ersten Beratungsvertrages vom 16. Dezember 2009. Dies gilt umso mehr, als zivilrechtlich die Abgabe einer bestimmten Erklärung nur zum Schein, d.h. unter dem geheimen Vorbehalt, sie solle nicht gültig sein (sog. Mentalreservation), so gilt, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben verstehen durfte (Urteil 5C.202/2006 vom 16. Februar 2007 E. 4.4.2 mit Hinweis auf die Lehre, in: ZBGR 89/2008 S. 352; vgl. auch BGE 105 IV 120 E. 2c S. 123). Das blosse Ausnützen einer Zwangslage fällt im Übrigen nicht unter Art. 156 Ziff. 1 und Art. 181 StGB (Urteil 6S.8/2006 vom 12. Juni 2006 E. 8.2).
Schliesslich kann nicht gesagt werden, gemessen am fehlenden Anspruch auf Herausgabe des Inhaberschuldbriefs bis zur Begleichung der Honorarforderung oder deren hinreichende Sicherstellung habe sich die Lage des Privatklägers und seiner Ehefrau aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers in strafrechtlich relevanter Weise verschlechtert. In diesem Zusammenhang erwägt das Obergericht – zu Recht – nicht, die Liegenschaft hätte aus rechtlichen Gründen nicht verkauft werden können, ohne dass die Verkäufer im Besitz des Inhaberschuldbriefes gewesen wären. Tatsächlich wurden denn auch Verpflichtungsgeschäft (Kaufvertrag) und Verfügungsgeschäft (Grundbucheintrag) abgewickelt, als das Wertpapier noch beim Beschwerdeführer war. Inwiefern das Grundstückgeschäft anderweitig gefährdet gewesen sein konnte dadurch, dass der Privatkläger nicht im Besitz des Inhaberschuldbriefes war, sagt das Obergericht im Übrigen nicht. Ein tatbestandsmässiger Nachteil im Sinne von Art. 156 Ziff. 1 bzw. Art. 181 StGB ist somit zu verneinen (E. 5.3).
Für mich ist das alles nicht nachvollziehbar. Wahrscheinlich ist das Urteil richtig, aber kann der Freispruch wirklich mit dem angeblich fehlenden Nachteil begründet werden? Die Kenntnis der Anklageschrift könnte helfen …