Falsche Rechtsgrundlage, richtiges Ergebnis

Das Bundesgericht hatte auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin einen simplen Sachverhalt zu beurteilen, der sich auch als Prüfungsaufgabe für ein juristisches Examen eignen würde, wenn die Lösung nicht so einfach wäre. Nun gut, die Staatsanwaltschaft Glarus hätte trotzdem nicht bestanden, die Vorinstanz trotz richtigen Ergebnisses allenfalls knapp.

Hier also der Sachverhalt aus BGer 6B_979/2014 vom 02.04.2015:

 X. vermietete die Studiowohnung in seiner von ihm im Erdgeschoss bewohnten Liegenschaft jeweils kurzfristig an Sexarbeiterinnen zu einem Tagespreis von Fr. 80 bis Fr. 100.-. Am 13. August 2009 war das Studio an A. aus Ungarn und am 12. Februar 2010 an B. aus Litauen vermietet. Beide waren zum fraglichen Zeitpunkt als erotische Masseusen tätig und verfügten über eine gültige Kurzaufenthaltsbewilligung EG/EFTA respektive eine Aufenthaltsbewilligung B, die zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigen (E. 1).

Zu beurteilen ist die Strafbarkeit des X.

Für die Lösung und den Weg zur Lösung zitiere ich aus dem Bundesgerichtsentscheid, der belegt, dass sogar altgediente Oberrichter und hoch spezialisierte Staatsanwälte scheitern können. Für sie war es zum Glück kein Prüfungsfall, sondern ein Anwendungsfall mit einem real existierenden Betroffenen:

Die Beschwerdeführerin und die Vorinstanz verkennen, dass es auf die rechtliche Qualifikation der Stellung des Beschwerdegegners vorliegend nicht ankommt, da Art. 117 Abs. 1 AuG nicht zur Anwendung gelangt. In Anwendung des Freizügigkeitsabkommens (…) ausgestellten Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen kommt nach gefestigter Rechtsprechung kein rechtsbegründender Charakter, sondern bloss deklarative Bedeutung zu. Der Aufenthalt von bzw. die Erwerbstätigkeit durch EU- oder EFTA-Staatsangehörige in der Schweiz ist auch bei fehlender Bewilligung nicht rechtswidrig, weshalb der Arbeitgeber, der unter das Freizügigkeitsabkommen fallende Staatsangehörige in der Schweiz ohne Bewilligung beschäftigt, nicht strafbar ist (BGE 134 IV 57 E. 4 zu Art. 23 Abs. 4 ANAG [BS 1 121]; Urteil des EuGH in der Rechtssache C-459/99, Mouvement contre le racisme, antisémitisme et la xénophobie [MRAX], Slg. 2002, I-6591, Rz. 74; Vetterli/D’Addario di Paolo, a.a.O, N. 32 zu Art. 115 AuG) [E. 4.2].

In der Anwendung von Art. 117 AuG lag das Obergericht richtig, die Staatsanwaltschaft auch hier nicht:

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann Prostitution in der Schweiz sowohl selbstständig als auch unselbstständig ausgeübt werden (BGE 140 II 460 E. 4.2 S. 468). Gestützt auf ihre verbindlichen, nicht substanziiert bestrittenen Sachverhaltsfeststellungen qualifiziert die Vorinstanz die von A. und B. ausgeübte Prostitution zutreffend als selbstständige Erwerbstätigkeit. Der Beschwerdegegner hatte keinen Einfluss auf Art, Umfang und Dauer der beruflichen Aktivitäten. Eine organisatorische und wirtschaftliche Abhängigkeit der beiden Frauen von ihm bestand nicht. Seine Tätigkeit beschränkte sich ausschliesslich auf die entgeltliche Überlassung der Studiowohnung als “möbliertes Arbeitszimmer” und ging nicht über die eines gewöhnlichen Vermieters hinaus. Dass A. und B. die Miete durch selbstbestimmte Prostitution finanzierten, genügt nicht, um den Beschwerdegegner als faktischen Arbeitgeber im Sinne von Art. 117 Abs. 1 AuG zu qualifizieren.