Gefährliche Verteidigungsstrategie

Wer als beschuldigte Person die mögliche Täterschaft eines Anderen ins Spiel bringt, macht sich – wenn er dann doch verurteilt wird – auch der falschen Anschuldigung gegen den Anderen strafbar. Dies fliesst aus einem zur Publikation vorgesehenen neuen Urteil des Bundesgerichts, welches das Obergericht des Kantons Aargau bestätigt.

Das Bundesgericht hatte den Fall am 13. Juli öffentlich beraten (BGE 6B_510/2016 vom 13.07.2017).

Die Anklageschrift enthält insoweit folgende Angaben: “Anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 21.09.2012 sagte der Beschuldigte aus, dass A. am 16.09.2012 im Besitz der Autoschlüssel aus dem B. verschwunden sei. Des weiteren wollte der Beschuldigte anlässlich derselben Einvernahme festgehalten haben, dass, als A. wieder zur Gruppe gestossen sei, das Auto nur wenige Meter hinter A. parkiert gewesen sei”. Zwar ist zutreffend, dass dem Anklagesachverhalt nicht ausdrücklich entnommen werden kann, der Beschwerdeführer habe gegenüber den Behörden angegeben, A. sei in der Tatnacht mit seinem Auto gefahren. Aus seinen Angaben und den weiteren Ausführungen der Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit den Geschehnissen jener Nacht ergibt sich diese Behauptung aber zumindest implizit. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme vom 21. September 2012 mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, am 15./16. September 2012 einen Verkehrsunfall mit einem Verletzten verursacht zu haben, enthält der Hinweis, wonach möglicherweise A. in jener Nacht mit seinem Auto gefahren sei, auch die Bezichtigung, dieser sei für den Verkehrsunfall verantwortlich. Jedenfalls schafft der Beschwerdeführer einen entsprechenden Verdacht. Damit bezichtigt er A. eines Vergehens oder Verbrechens; der Nennung eines bestimmten Straftatbestandes bedarf es nicht (vgl. DELNON/RÜDY, in Basler Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2013, N. 16 zu Art. 303 StGB). Auch die subjektiven Tatbestandselemente der falschen Anschuldigung sind in der Anklageschrift nicht ausdrücklich enthalten. Sie lassen sich ihr aber ebenfalls implizit entnehmen. Der Tatbestand erfordert ausser Vorsatz das Wissen um die Unwahrheit der Bezichtigung und die Inkaufnahme der Eröffnung einer Strafverfolgung gegen einen Unschuldigen (TRECHSEL/AFFOLTER-EIJSTEN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. Zürich 2013 N. 7 ff. zu Art. 303 StGB). Weiss der Beschwerdeführer aber um seine eigene Täterschaft, nimmt er auch die Eröffnung einer Strafverfolgung gegen einen Unschuldigen mindestens in Kauf. Die Anklageschrift erfüllt somit, wenn auch nur knapp, die gesetzlichen Mindestanforderungen an Art. 9 StPO. Es war dem Beschwerdeführer denn auch ohne Weiteres möglich, sich gegen den erhobenen Vorwurf hinreichend zur Wehr zu setzen.

Materiellrechtlich mag der Entscheid ja richtig sein. Dass er aber die Verteidigungsrechte u.U massiv beschränkt, thematisiert der Entscheid (und wohl auch der Beschwerdeführer) leider nicht. Man könnte übrigens auch noch darüber nachdenken, was dem Verteidiger in einer solchen Konstellation vorgeworfen werden könnte.

Das wäre ein schöner Fall für den EGMR, wobei aber eben nicht ersichtlich ist, dass die Verletzung der Verteidigungsrechte gerügt wurde. Ausgiebig aber erfolglos gerügt wurde immerhin die Verletzung des Anklageprinzips.