Kapitulation der Justiz vor der Staatsanwaltschaft

In einem Strafverfahren wegen Verdachts der mehrfachen Sachbeschädigung (dreimalige Beschädigung eines Billetautomaten mit Bauschaum) hat die Staatsanwaltschaft anlässlich einer Hausdurchsuchung u.a. eine Fotokamera, ein Mobiltelefon, drei Laptops und ein USB-Stick sichergestellt und auf Antrag des Beschuldigten versiegelt. Im Entsiegelungsverfahren vor ZMG hat die Staatsanwaltschaft wie üblich obsiegt.

Hingegen hat das Bundesgericht den Entsiegelungsentscheid auf Beschwerde des Beschuldigten hin (Laienbeschwerde) kassiert (BGer 1B_374/2014 vom 12.02.2015). So wie das Bundesgericht den ZMG-Entscheid zusammenfasst, kann man fast nur noch von einer Kapitulation vor der Staatsanwaltschaft sprechen:

Was die vom Beschwerdeführer bestrittene Untersuchungsrelevanz und Verhältnismässigkeit betrifft, wird im angefochtenen Entscheid Folgendes erwogen: “Weil die Staatsanwaltschaft” noch keine Kenntnis vom Inhalt der sichergestellten elektronischen Aufzeichnungen haben könne, müsse es “für die Bewilligung der Entsiegelung genügen, dass nach der Anhörung der Betroffenen die Vermutung” bestehen bleibe, dass “die fraglichen Unterlagen und Gegenstände für den konkreten Zweck der Strafuntersuchung erheblich sein können”. Es sei “nicht ausgeschlossen”, dass auf den versiegelten Geräten solche Aufzeichnungen gespeichert sein könnten. Es komme “regelmässig vor, dass Täter bei Taten von dieser Art die von ihnen beschädigten Objekte oftmals fotografieren”. Zwar sei davon auszugehen, dass sich auf den versiegelten Geräten auch private Aufzeichnungen und Korrespondenzen des Beschwerdeführers befinden. Unabhängig von der Schadenshöhe sei jedoch sein Geheimhaltungsinteresse tiefer einzustufen als das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Sachbeschädigungen. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Zusammenfassend sei festzuhalten, “dass sich unter den zu durchsuchenden Gegenständen und Aufzeichnungen potentiell keine” befänden, “die einem strafprozessual zu achtenden Geheimnis unterstehen”. “Da die Entsiegelung damit als verhältnismässig zu bezeichnen” sei, – “die gegenteiligen Ausführungen” des Beschwerdeführers könnten “nicht gehört werden,” – seien alle elektronischen Geräte “entsprechend zu entsiegeln” (E. 4).

Das Bundesgericht sieht das glücklicherweise etwas anders:

In der Tat drängen sich gewisse Zweifel an der Annahme der kantonalen Behörden auf, dass auf den Geräten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Photos von beschädigten Ticketautomaten gespeichert sein könnten. Das Zwangsmassnahmengericht hat sich mit den betreffenden Einwendungen des Beschwerdeführers (wonach er nicht der “Sprayer-Szene” angehöre, angeblich Bauschaum in das Gerät hineingesprüht worden sei usw.) nicht auseinandergesetzt. Zwar kann nicht zum Vornherein ausgeschlossen werden, dass sich unter den sichergestellten Aufzeichnungen einschlägige Photos befinden könnten. Die Vorinstanz verkennt jedoch, dass die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre (Art. 13 BV) einer unbeschränkten Durchsuchung sämtlicher elektronischen Geräte und Aufzeichnungen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit entgegenstehen kann und dass das Zwangsmassnahmengericht (auf substanziierte Vorbringen des betroffenen Inhabers hin) die Entsiegelung jedenfalls auf untersuchungsrelevante Gegenstände zu beschränken hat (BGE 138 IV 225 E. 7.1 S. 229 mit Hinweisen). Dies gilt besonders in Fällen minder schwerer Kriminalität (Art. 197 Abs. 1 lit. d StPO; zur amtl. Publikation bestimmtes Urteil 1B_330/2014 vom 21. November 2014 E. 5.2). Aus dem blossen Umstand, dass die Staatsanwaltschaft den Inhalt der versiegelten Gegenstände noch nicht kennen kann, folgt keineswegs, dass ohne Weiteres deren unbeschränkte Entsiegelung und Freigabe zur Durchsuchung zulässig wäre. Vielmehr ist es die gesetzliche Aufgabe des Zwangsmassnahmengerichtes, nötigenfalls eine Triage (Sichtung) der versiegelten Aufzeichnungen vorzunehmen und die nicht deliktsrelevanten Gegenstände auszuscheiden (Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO; BGE 138 IV 225 E. 7.1 S. 229; 137 IV 189 E. 5.1.2 S. 196 f.; zur amtl. Publikation bestimmtes Urteil 1B_330/2014 vom 21. November 2014 E. 5.4 und 5.5.1). Diese Grundsätze sind gerade im vorliegenden Fall einzuhalten, bei dem die Staatsanwaltschaft die untersuchungsrelevanten Aufzeichnungen (allfällige Bilder von Ticketautomaten) schon im Entsiegelungsgesuch konkret eingegrenzt hat und die Sichtung von entsprechenden Bilddateien durch das Zwangsmassnahmengericht nicht sehr aufwändig erscheint. Der angefochtene Entscheid erweist sich insofern als bundesrechtswidrig (E. 5.3).

Das Bundesgericht hat leider nichts zur vom Gesetzgeber vorausgesetzten Vermutung ausgeführt, dass sich in den sichergestellten Datenträgern überhaupt Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen. Es scheint die Beschwerde erst auf Stufe Verhältnismässigkeit gutzuheissen. Das ist aber jedenfalls immer noch viel besser als die meisten Zwangsmassnahmengerichte, welche rein private Geheimhaltungsinteressen, die immerhin auch verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen können, nie schützen.