Polizeijournale und andere Fichen

Nachdem ein nicht vorbestrafter (aber anderweitig auffälliger) Jugendlicher in Bern zwei Polizisten verbal beleidigt hatte, wurde er erkennungsdienstlich behandelt. Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Beschwerde hin angeordnet, dass die Staatsanwaltschaft die entnommene DNA-Probe und die Resultate der erkennungsdienstlichen Erfassung aus den Akten entfernen und vernichten müsse.

Dagegen beschwerten sich die Generalstaatsanwaltschaft und die Kantonspolizei (!) des Kantons Bern beim Bundesgericht. Dieses trat auf die Beschwerde der Kantonspolizei nicht ein und wies diejenige der Staatsanwaltschaft auch unter Hinweis auf BGE 141 IV 87 ab (BGer 1B_111/2015 vom 20.08.2015):

Im Zeitpunkt des WSA und der erkennungsdienstlichen Erfassung war der Beschwerdegegner 18 Jahre alt und somit noch jung. Wollte man den WSA analysieren lassen und die Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Erfassung in den Akten belassen, würde der Beschwerdegegner gewissermassen als potentieller Krimineller behandelt, obgleich nicht aktenkundig ist, dass er je etwas Schwerwiegenderes angerichtet hätte. Das wäre übertrieben und könnte sich nachteilig auf seine weitere Entwicklung und Integration in die Gesellschaft auswirken (vgl. Urteil i.S.  S. und Marper, a.a.O.) [E. 3.5].

Damit wäre die Polizei sicher nicht einverstanden, die den Jungen schon lange im Visier (pardon: im Polizeijournal, wie es seit der Fichenaffäre heisst) zu haben scheint:

Der Verfasser des polizeilichen Anzeigerapports vom 14. November 2014 führt allerdings aus, der Beschwerdegegner habe bereits als Jugendlicher Kontakt zur Polizei gehabt. Er sei in einer Gruppe von Sprayern kontrolliert worden, “wo Anarchiezeichen angebracht worden seien.” Zudem sei er in einer Nacht im Juli 2014 mit Kollegen ins “Wylerbad” in Bern eingedrungen. Bisher sei er jedoch nicht angezeigt worden. Der Verfasser des Anzeigerapports legt überdies dar, er habe den Beschwerdegegner bereits mehrfach auf dem Vorplatz der “Reithalle” in Gesellschaft von Personen aus der linksextremen Szene gesehen. Durch diese Gruppierung komme es an dieser Örtlichkeit öfter zu Übergriffen gegen die Polizei, unter anderem durch Flaschenwürfe.
Die Vorinstanz würdigt diese Darlegungen im Anzeigerapport als unbewiesene Behauptungen. Dem ist insofern zuzustimmen, als sich der Beschwerdegegner dagegen in keinem justizförmigen Verfahren wehren konnte. Er steht unter dem Schutz der Unschuldsvermutung. Danach gilt jede Person bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 6 Ziff. 2 EMRK). Es ist deshalb davon auszugehen, dass er bisher keine Straftat begangen hat.
 Selbst im Anzeigerapport wird dem Beschwerdegegner im Übrigen nicht vorgeworfen, er habe eine Sache beschädigt oder gegen jemanden Gewalt verübt. Insbesondere wird darin nicht gesagt, er habe eine Wand besprayt oder eine Flasche gegen einen Polizeibeamten geworfen. Dies lässt sich auch den polizeilichen Journaleinträgen nicht entnehmen. Danach wurde nicht der Beschwerdegegner, sondern wurden andere Jugendliche beim Besprayen einer Wand beobachtet. Zudem trug der Beschwerdegegner kein hierfür geeignetes Material auf sich. Auch wird nicht gesagt, der Beschwerdegegner sei beim Werfen einer Flasche gegen einen Polizeibeamten beobachtet worden. Wäre dies der Fall gewesen, ist anzunehmen, dass deswegen ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet worden wäre. Das geschah jedoch nicht. Selbst wenn man auf die polizeilichen Darlegungen abstellen wollte, wäre demnach nicht dargetan, dass der Beschwerdegegner je ein schwereres Delikt begangen hätte.
Auch beim Vorfall, der Gegenstand des nunmehr gegen ihn geführten Verfahrens bildet, wird ihm nicht zur Last gelegt, er habe gegen einen Polizeibeamten Gewalt verübt. Vielmehr soll es bei verbalen Aggressionen und entsprechenden Gebärden geblieben sein.
 In Anbetracht dessen ist es bundesrechtlich haltbar, wenn die Vorinstanz ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdegegner in andere – auch künftige – Delikte von gewisser Schwere verwickelt sein könnte, verneint hat (E. 3.3).