Rechtswidrige private Observationen

Jüngst hat ein Urteil des EGMR festgestellt, dass private Observationen ohne gesetzliche Grundlagen nicht zulässig sind. Was deshalb für den Bereich des Sozialversicherungsrechts der Schweiz bereits galt, gilt nach einem neuen zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil des Bundesgerichts auch im Strafverfahren. Aber nur dem Grundsatz nach.

Zwar kennt auch die StPO keine gesetzliche Grundlage für private Observationen. Dafür verfügt sie über den Notausgang von Art. 141 Abs. 2 StPO, der in bestimmten Fällen auch rechtswidrig erlangte Beweise für verwertbar erklärt. Das gilt gemäss Bundesgericht auch  für rechtswidrige private Observationen (BGE 1B_75/2017 vom 16.08.2017 unter Hinweis auf EGMR vom 16. Oktober 2016 i.S.  Vukota-Bojic gegen  Schweiz, Nr. 61838/10, Ziff. 69-77: Plädoyer 2016 Nr. 6, S. 71; BGE 9C_806/2016 vom 14.07.2014).

Der Vorinstanz waren diese Urteile auch bekannt. Sie stellte aber kurzerhand fest, sie bezögen sich nur auf das Sozialversicherungsrecht, und im Strafverfahren sei es der Privatklägerschaft grundsätzlich erlaubt, eigene Beweise zu erheben und einzureichen. Das griff dann aber selbst für das Bundesgericht zu kurz:

Zwar kann die Privatklägerschaft, wie die beschuldigte Person, eigene im Rahmen der Rechtsordnung zulässige Beweismittel anbieten und dabei zum Beispiel Dokumente oder private Gutachten bei der Verfahrensleitung einreichen (vgl. Art. 109 Abs. 1 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 lit. b sowie Art. 192 Abs. 3 und Art. 318 Abs. 2 StPO). Zwangsmassnahmen (Art. 196 StPO) dürfen jedoch laut Art. 198 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur durch die Staatsanwaltschaft, die Gerichte und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen durch die Polizei verfügt werden. Die wenigen Fälle, in denen  Private ausnahmsweise eigentliche Zwangsmassnahmen anwenden und in die Grundrechte von Personen eingreifen dürfen, werden in der StPO ausdrücklich geregelt (vgl. Art. 218 und Art. 263 Abs. 3 StPO). Observationen im Sinne von Art. 282 StPO gehören nicht dazu (E. 4.2).

Das Entscheidende ist aber die Frage der Verwertbarkeit. Darüber äussere sich der EGMR nicht:

Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich insofern lediglich der Anspruch auf ein insgesamt faires Verfahren (vgl. EGMR 61838/10 i.S.  Vukota-Bojic, Ziff. 91, 93 f. und 96) [E. 4.3].

Nach einer solchen Erwägung ahnt man, was kommt:

Im Strafprozessrecht ist die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln grundsätzlich dem Sachrichter (Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO) bzw. der den Endentscheid fällenden Strafbehörde zu unterbreiten. Vom Sachrichter kann erwartet werden, dass er in der Lage ist, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Der Betroffene kann den Endentscheid nötigenfalls auch noch mit Berufung anfechten (Art. 398 StPO) und die Angelegenheit schliesslich an das Bundesgericht weiterziehen (vgl. BGE 141 IV 284 E. 2.2 S. 287; 289 E. 1.2 S. 291 f.; 139 IV 128 E. 1.6 und 1.7 S. 134 f.).
Von der Regel, dass im Untersuchungsverfahren noch nicht abschliessend über Beweisverwertungen entschieden wird, bestehen Ausnahmen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht (vgl. namentlich Art. 248, Art. 271 Abs. 3, Art. 277 und Art. 289 Abs. 6 StPO). Ebenso verhält es sich, wenn aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalles die Unverwertbarkeit bereits ohne Weiteres feststeht. Derartige Umstände können allerdings nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Beweises geltend macht (BGE 142 IV 207 E. 9.8 S. 227; 141 IV 284 E. 2.3 S. 287; 289 E. 1.3 S. 292).
Im vorliegenden Fall werden Verwertungsverbote im  Entsiegelungsprozess des Vorverfahrens (Art. 248 Abs. 3 lit. a StPO) angerufen. Da im Entsiegelungsverfahren endgültig über die Preisgabe der angerufenen Geheimnisrechte entschieden wird (Art. 248 Abs. 1 StPO), sind entscheiderhebliche Beweisfragen, etwa im Hinblick auf das Erfordernis des hinreichenden Tatverdachtes (Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) oder auf gesetzliche Entsiegelungshindernisse (Art. 197 Abs. 1-2 und Art. 264 StPO), bereits materiell zu prüfen. Diesbezüglich besteht auch ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (vgl. BGE 141 IV 284 E. 2.3 S. 287; 289 E. 1.3 S. 292, je mit Hinweisen auf Art. 248 StPO). Der abschliessende Entscheid über die Beweiswürdigung (hinsichtlich Tat- und Schuldfragen) sowie über die weitere Verwertbarkeit einzelner Beweismittel im Hauptverfahren bleibt jedoch dem Sachrichter vorbehalten. Allgemeine Beweisverwertungsverbote gestützt auf Art. 140-141 StPO (mit Rückgabe an den Inhaber oder Entfernung von Beweismitteln aus den Untersuchungsakten) sind im Entsiegelungsprozess des Vorverfahrens nur durchzusetzen, wenn die Unverwertbarkeit bereits  offensichtlich ist (BGE 142 IV 207 E. 9.8 S. 227; zur amtlichen Publikation bestimmtes Urteil 1B_29/2017 vom 24. Mai 2017, E. 7.6).
Falls sich bei rechtswidrig erlangten (“ungültigen”) Beweisen eine Prüfung bzw. Interessenabwägung nach Art. 141 Abs. 2 StPO (“zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich”) als geboten erweist, ist diese in der Regel dem erkennenden Strafgericht vorzubehalten, es sei denn, die Unverwertbarkeit liege bereits im Untersuchungsstadium klar auf der Hand (zur amtl. Publ. bestimmtes Urteil 1B_29/2017, E. 7.6) [E. 4.4].
Das heisst dann wohl, dass man Beschwerden gegen Zwangsmassnahmen immer dann unterlassen sollte, wenn die Beweismittel bei Gutheissung nicht aus den Akten zu weisen oder zu vernichten sind. Die Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung und die Unverwertbarkeit der Beweise kann diesfalls ja auch noch vor dem Sachrichter geltend gemacht werden. Aber so will es das Bundesgericht vielleicht nicht verstanden haben.