Rückzugsfiktion und Inländerdiskriminierung

Eine kleine Einführung in die Rechts- und Staatskunde liefert das Bundesgericht in Bezug auf die Rückzugsfiktion im Strafbefehlsverfahren (Art. 355 Abs. 2 StPO). Diese kommt dann nicht zur Anwendung, wenn die einsprechende beschuldigte Person im Ausland lebt (BGer 1B_377/2013 vom 27.03.2014, Publikation in der AS vorgesehen):

Die schweizerische Staatsgewalt beschränkt sich auf das hiesige Staatsgebiet. Die schweizerischen Strafbehörden dürfen daher unter den gesetzlichen Voraussetzungen Zwang auf den sich hier befindenden Beschuldigten ausüben, nicht dagegen auf den sich im Ausland befindenden. Tun sie dies, verletzen sie die Souveränität des ausländischen Staates (BGE 133 I 234 E. 2.5.1 S. 239; HANS SCHULTZ, Male captus bene iudicatus?, SJIR 24/1967 S. 70 und 77 f.). Was die sich dort aufhaltenden Personen zu tun oder unterlassen haben, bestimmt jener Staat. Darin dürfen sich die schweizerischen Behörden nicht einmischen. Wollen sie auf den sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten zugreifen, dürfen sie das nur unter Mitwirkung und Zustimmung des ausländischen Staates tun. Sie müssen diesen also um Rechtshilfe ersuchen (SCHULTZ, a.a.O.) [E. 2.4].

Ergebnis ist, dass die unsägliche gesetzliche Rückzugsfiktion nicht zur Anwendung kommen kann, wenn der Einsprecher im Ausland domiziliert ist:

Darf der Beschwerdegegner demnach wegen seines Fernbleibens an der Einvernahme in Altdorf keine rechtlichen oder tatsächlichen Nachteile erleiden, kann die Rückzugsfiktion gemäss Art. 355 Abs. 2 StPO nicht zur Anwendung gelangen (E. 2.5).

Folge der gesetzgeberischen Fehlleistung ist ein weiterer Fall von Inländerdiskriminierung.