Siegelung als Obstruktionshandlung?

Das Bundesgericht kassiert einen Entscheid des ZMG Bern, das auf ein Entsiegelungsgesuch wegen angeblich rechtsmissbräuchlicher Siegelung nicht eingetreten war und die entsprechenden Unterlagen zur Durchsuchung freigegeben hatte, soweit sie keine geheimnisgeschützten Aufzeichnungen enthielten (BGer 1B_382/2017 vom 22.12.2017).

Das Bundesgericht zeigt kein Verständnis und wirft dem ZMG vor, seine gesetzlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaft delegiert zu haben:

Es ist hier somit die gesetzliche Aufgabe der Vorinstanz, materiell zu prüfen, ob und inwieweit das Anwaltsgeheimnis oder andere ausreichend substanziierte Geheimnisinteressen der beantragten Entsiegelung entgegenstehen (Art. 248 StPO). Sie kann sich dieser Aufgabe nicht entledigen, indem sie die Staatsanwaltschaft anweist, allfälligen Berufsgeheimnissen (Art. 264 Abs. 1 lit. c und lit. d StPO) erst nach erfolgter Durchsuchung der Unterlagen (im Rahmen einer förmlichen Beschlagnahmeverfügung) Rechnung zu tragen (E. 4.4).

Zum angeblichen Rechtsmissbrauch findet das Bundesgericht ebenfalls die richtigen Worte:

Das Gesetz sieht auch keine Verpflichtung der das Siegelungsbegehren stellenden Partei vor, an einem informellen “Vor-Entsiegelungsverfahren” (vor Eingang eines Entsiegelungsgesuches) aktiv mitzuwirken oder der Staatsanwaltschaft Vorschläge für einen partiellen oder vollständigen Rückzug des Siegelungsbegehrens zu unterbreiten.
Noch viel weniger ist hier eine “Obstruktion des Verfahrens” (oder gar Rechtsmissbrauch) durch den Beschwerdeführer dargetan, welche es rechtfertigen liesse, sein gültig gestelltes Siegelungsbegehren als hinfällig und unbeachtlich zu behandeln. Dass er sich zwischen dem 20. März und 30. Mai 2017 freiwillig auf informelle Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft über einen teilweisen Rückzug seines Siegelungsbegehrens einliess, kann ihm nicht als Obstruktion zur Last gelegt werden. Noch viel weniger kann von einem “Verzicht” auf sein rechtsgültig gestelltes Siegelungsbegehren und die gesetzmässig erfolgte Siegelung die Rede sein (E. 4.4).
Erwähnenswert ist schliesslich noch eine Bemerkung zur Frage nach der Rechtzeitigkeit der Siegelung:
Die im angefochtenen Entscheid auch noch beiläufig aufgeworfene Frage, ob das Entsiegelungsgesuch durch die Staatsanwaltschaft rechtzeitig gestellt wurde oder nicht, vermag am Gesagten nichts zu ändern. Selbst wenn das Entsiegelungsgesuch verspätet gewesen wäre, was nach den vorliegenden Akten nicht der Fall ist, könnte dies nicht zu einer Entsiegelung bzw. Freigabe der versiegelten Unterlagen zur Durchsuchung führen (E. 4.4, Hervorhebungen durch mich).
Obstruktion hat somit nicht die Verteidigung begangen, sondern das ZMG, das seine gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt bzw. einfach delegiert hat.