Was gehört zu den Verfahrenskosten?

Ich behaupte ja immer wieder, dass manche Strafrichter ihre finanzielle Verantwortung gegenüber der Staatskasse ausserordentlich stark gewichten. Ihren an sich löblichen Widerstand gegen die Ökonomisierung des Strafrechts bringen sie aber oft nur dann zum Ausdruck, wenn es darum geht, Ansprüche gegen die Staatskasse zu beurteilen (Entschädigungen für unrechtmässigen Freiheitsentzug, Entschädigungen für Verteidigungskosten, Honorar der amtlichen Verteidiger). Weniger zurückhaltend sind sie, wenn es darum geht, Kosten den Verurteilten aufzuerlegen. Dabei ging die Justiz des Kantons Thurgau nun aber deutlich zu weit (BGE 6B_877/2014 vom 05.11.2015, Publikation in der AS vorgesehen).

Sie gibt dem Bundesgericht Anlass, in einem Grundsatzentscheid zu definieren, was unter Verfahrenskosten zu verstehen sei. Ich greife ein paar Erwägungen heraus, muss aber für den Rest auf den detailliert begründeten Entscheid verweisen.

Kosten der prozessualen Haft:

Aufgrund der Materialien muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft nicht nach Art. 422 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO der verurteilten Person auferlegen wollte. Zumindest die Kosten der auf eine unbedingte Freiheitsstrafe anzurechnenden Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind jedoch gleich zu behandeln wie Strafvollzugskosten. Die verurteilte Person muss sich daran nach Massgabe von Art. 380 Abs. 2 StGB beteiligen (E. 9.5.2, Hervorhebungen durch mich. Das hat aber m.E. nicht im Rahmen des Strafurteils erfolgen, denn dazu hat der Richter die notwendigen Anhaltspunkte nicht).

Polizeikosten:

Allgemeine Aufwendungen der Polizei, welche diese aufgrund ihrer Stellung als Strafbehörde in einem konkreten Strafverfahren zu erbringen hat, wie beispielsweise Fahndungs- und Festnahmekosten, Ermittlungskosten, Kosten der Beweissicherung oder Kosten der polizeilichen Foto- und Erkennungsdienste, fallen – abgesehen von allfälligen Auslagen für Material u.ä. – nicht darunter (…). Für solche Leistungen dürfen der beschuldigten Person keine Auslagen verrechnet werden. Zulässig ist es demgegenüber, diese allgemeinen polizeilichen Leistungen bei der Festsetzung der Gebühren zu berücksichtigen (…), wenn hierfür eine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht (E. 9.5.3, Hervorhebungen durch mich).

Medizinische Behandlung:

Solche Kosten sind mit der betroffenen Person daher gleich abzurechnen, wie wenn nie ein Strafverfahren eröffnet worden wäre. Verfügt diese nicht über die erforderlichen Mittel, muss (nach einer Kostengutsprache) unter Umständen die Sozialhilfe für einen allfälligen Selbstbehalt nach Abrechnung mit der Kranken- oder Unfallversicherung aufkommen, was bei Verfahrenskosten von vornherein ausgeschlossen scheint (E. 9.5.4).

Reinigung Tatort:

Unklar ist, was dieser Kostenpunkt beinhaltet und weshalb die Staatsanwaltschaft für diese Kosten aufkam bzw. weshalb diese im Zusammenhang mit dem “Strafverfahren” angefallen sein könnten (E. 9.5.5).

Auslagenbelege:

Gemäss dem Begleitschreiben der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2013 hätte der Beschwerdeführer bzw. sein Rechtsanwalt die Originalrechnungen mitsamt Zahlungsbelegen nach entsprechender Terminvereinbarung in der Buchhaltung der Staatsanwaltschaft einsehen können. Auch hätte die Staatsanwaltschaft dem Rechtsvertreter gegen Gebühr entsprechende Kopien zukommen lassen (vgl. Akten Bezirksgericht). Damit wird verkannt, dass Auslagen zu belegen sind. Die Staatsanwaltschaft hätte die Belege bzw. Kopien davon (auf Verlangen) daher zu den Verfahrensakten reichen müssen. Die Vorinstanz wird die Belege und gegebenenfalls auch zusätzliche Informationen zu den einzelnen Auslagen soweit erforderlich im Zusammenhang mit der Neubeurteilung nachfordern müssen (E. 9.7).

Nur am Rande: bezahlt werden auch die zu Recht auferlegten Kosten meist nicht. Man fragt sich daher – ganz im Sinne der Ökonomisierung des Strafrechts – was den ganzen Aufwand rechtfertigt. Wahrscheinlich hat es primär mit staatsinternen Budget- und Abrechnungsregeln sowie Kostenstellen zu tun. Aber davon verstehe ich auch nichts. Ich verstehe ja nicht einmal, wieso eine vom Staat verfolgte und verurteilte Person auch noch dafür bezahlen soll. Es reicht doch vollkommen, wenn er den angerichteten Schaden ersetzen muss.