“Angepisster”, aber nicht befangener Gutachter

Ein Explorand hat erfolglos versucht, “seinen” Gutachter abzulehnen, nachdem dieser ihm eröffnet hatte, er sei angepisst (BGer 1B_519/2019 vom 30.01.2020). Der Entscheid des Bundesgerichts ist rechtlich eher uninteressant, zeigt aber schön, wie unprofessionell Explorationsgespräche in der Wirklichkeit oft geführt könnten. Ob das üblich oder nur ausnahmsweise der Fall ist, werden wir nie wissen, denn die Gespräche finden unter Ausschluss der Teilnahmerechte und ohne audiovisuelle Aufzeichnungen statt. In der Regel gibt es nicht einmal ein lesbares Gesprächsprotokoll. So will das die Justiz und alles andere lehnt sie immer noch konsequent ab.

Und weil es keine Aufzeichnungen gibt, muss man halt ein bisschen über den Gesprächsverlauf, den man zu würdigen hat, spekulieren (und den Exploranden – ja wen denn sonst? – hängen lassen):

Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid erwog, bestreitet der Beschwerdegegner die umstrittene Aussage im Rahmen des geplanten Explorationsgesprächs nicht. Er gibt vielmehr zu, im Versuch einer “Aufnahme der Stimmung des Moments” die Bemerkung gemacht zu haben. Hinweise, er habe den Beschwerdeführer damit provozieren bzw. demütigen und abwerten wollen, sind jedoch keine erkennbar. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass dieser Versuch des Beschwerdegegners “etwas gar salopp” und ungeschickt ausgefallen ist. Wenn sie diesbezüglich aber den Umstand in die Beurteilung miteinbezog, wonach die Aussage in der Dynamik der angespannten Situation entstanden sei, sind ihre Ausführungen im Gesamtzusammenhang nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen ist namentlich zu berücksichtigen, dass bei der Eskalation der Unterhaltung auch unglückliche, nicht vom Beschwerdegegner verschuldete Umstände im Vorfeld des Gesprächs eine Rolle gespielt haben dürften. So wurde das Explorationsgespräch dem Beschwerdeführer nicht angekündigt, obschon der Beschwerdegegner darum gebeten hatte, weil er um das Bedürfnis des Beschwerdeführers auf Vorbereitung eines solchen Termins wusste. Weiter sollte die Untersuchung frühmorgens stattfinden, wobei der Beschwerdeführer angeblich nicht einmal mehr seinen Kaffee habe fertig trinken können, weshalb er bereits gereizt gewesen sei. Wenn sich der Beschwerdegegner in der Folge aufgrund der vorherrschenden gereizten Stimmung zur Bemerkung hat hinreissen lassen, er sei auch “angepisst”, ist dies zwar unschön und lässt die grundsätzlich von einem Sachverständigen zu erwartenden guten Umgangsformen vermissen, hingegen ist sein Verhalten nicht völlig unverständlich. Die kritisierbare Äusserung des Beschwerdegegners wiegt jedenfalls bei gesamthafter Würdigung nicht so schwer, dass sie geeignet wäre, objektiv begründetes Misstrauen in seine Unvoreingenommenheit zu wecken (vgl. Urteil 1C_413/2012 vom 14. Juni 2013 E. 5.5, wonach der Vorwurf der Querulanz im konkreten Fall nicht zur Annahme einer Geringschätzung genügte) [E. 3.3, Hervorhebungen durch mich].