Das Bundesgericht als Gesetzgeber

Das Bundesgericht benützt einen aktuellen Haftfall, um die Schweiz in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren (Urteil  I.L. gegen die Schweiz vom 3. Dezember 2019, Nr. 72939/16, Grosse Kammer noch anrufbar) vor dem EGMR zu verteidigen.

Im Prinzip geht es um die Frage des strafprozessualen Analogieverbots zulasten des Betroffenen, das man in der Schweiz entweder nicht kennt oder nicht kennen will. Der EGMR lässt Ausnahmen zum Analogieverbot zu und hat sich im oben zitierten Entscheid dahingehend geäussert, dass eine solche Ausnahme im Bereich der SIcherheitshaft im Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO nicht besteht.

Das Bundesgericht widersetzt sich dieser Rechtsprechung und verweist auf seine eigene Rechtsprechung, welche eine Ausnahme vom Analogieverbot bei der Sicherheitshaft im selbständigen gerichtlichen Nachverfahren rechtfertigen soll (BGer 1B_24/2020 vom 03.02.2020, Fünferbesetzung).

Konkret geht es um die Anordnung von strafprozessualer Sicherheitshaft bei vorbestehendem stationärem Massnahmenvollzug nach rechtskräftiger Verurteilung im selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren betreffend Anordnung der Verwahrung (Art. 221 und 229 ff. i.V.m. Art. 363 f. StPO und Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB).  Hier das Ergebnis:

Es ist somit festzuhalten, dass sich die analoge Anwendung der Bestimmungen der Strafprozessordnung zur Sicherheitshaft im selbstständigen gerichtlichen Nachverfahren betreffend die Anordnung der Verwahrung auf eine lang andauernde und konstante Rechtsprechung stützt. Die Kritik des Beschwerdeführers, die Freiheit sei nicht “auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise” im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 EMRK erfolgt und verletze zudem Art. 5 Abs. 1 und Art. 31 BV sowie Art. 220 f. und Art. 229 bis 233 StPO, erweist sich damit als unberechtigt. Ob, wie das Kantonsgericht alternativ erwägt, die Sicherheitshaft sich auch auf die polizeiliche Generalklausel, die nach Art. 36 Abs. 1 BV eine fehlende gesetzliche Grundlage ersetzen kann, stützen liesse, kann bei diesem Ergebnis offenbleiben (E. 5.5). 

Dass das Ergebnis nach schweizerischem Recht (Gewaltentrennung) falsch ist, schiebt das Bundesgericht fairerweise dann auch gleich noch nach:

Ergänzend ist festzuhalten, dass das Bundesgericht in diversen Entscheiden eine klare gesetzliche Regelung zur vollzugsrechtlichen Sicherheitshaft aus Gründen der Rechtssicherheit als wünschbar bezeichnet hat (Urteil 1B_41/2019 vom 19. Februar 2019 E. 2.3 mit Hinweisen). Der Gesetzgeber hat die Anregung des Bundesgerichts aufgenommen. Wie bereits erwähnt, hat der Bundesrat mit einer Botschaft vom 28. August 2019 dem Parlament einen Entwurf zur Änderung der Strafprozessordnung vorgelegt. Dieser sieht vor, […] (E. 3.6).

Jetzt kann das Bundesgericht nur noch hoffen, dass die Schweiz die Sache der Grossen Kammer vorlegen wird. Ich gehe aber eher davon aus, dass sie das angesichts der zu erwartenden Niederlage eher unterlassen wird.