Rechtsnachhilfe für das Appellationsgericht BS

Strafrecht kann auch so betrieben werden, dass man es seiner Ernthaftigkeit beraubt. Ein solches Beispiel hat das Appellationsgericht BS geliefert, das aber vom Bundesgericht quasi nach der Ziellinie (nach verpasster Einsprachefrist) noch gestoppt werden konnte (BGer 1B_1294/2019 vom 08.05.2020).

Indem das Bundesgericht die Beschwerde einer Frau gutgeheissen hat, die ohne Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft festgenommen und ohne der Sprache mächtig zu sein per Strafbefehl in deutscher Sprache zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden war, hat es in letzter Sekunde den rechtsstaatlichen GAU abgewendet.

Der Kanton wird seine Praxis ändern und wirksame Überstzungshilfe leisten müssen:

Das von der Vorinstanz erwähnte Merkblatt “Information für fremdsprachige Personen” befindet sich – wie die Beschwerdeführerin zutreffend rügt – nicht in den Akten. Die Staatsanwaltschaft reichte dieses erstmals zusammen mit ihrer Vernehmlassung ein, was unzulässig ist (Art. 99 Abs. 1 BGG). Den Erwägungen der Vorinstanz ist dennoch zu entnehmen, dass das Merkblatt lediglich Informationen allgemeiner Natur zum Strafbefehlsverfahren und Hinweise auf eine “Übersetzungshilfe” enthält. Die Beilage eines solchen Informationsblatts einem in deutscher Sprache verfassten Strafbefehl genügt – entgegen der Praxis der Vorinstanz – den Anforderungen von Art. 68 Abs. 2 StPO nicht, zumal damit keine Übersetzung des im konkreten Fall gefällten Dispositivs erfolgt. Dass die Beschwerdeführerin nur Französisch spricht, stellt die Vorinstanz nicht in Abrede (E. 1.3.1, Hervorhebungen durch mich). 

Das Appellationsgericht wollte der Beschwerdeführerin auch noch Rechtsmissbrauch vorwerfen, weil sie nicht rechtzeitig Einsprache geführt hat:

Gleichentags verfügte das kantonale Migrationsamt die vorläufige Festnahme. Am darauffolgenden Tag, den 19. Mai 2016, erliess die Staatsanwaltschaft den zur Diskussion stehenden Strafbefehl, welcher noch am selben Tag, um 17:00 Uhr, durch die Polizei der Beschwerdeführerin ausgehändigt wurde. Anschliessend wurde die Beschwerdeführerin aus der Haft entlassen. Eine Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft fand nicht statt. Die Beschwerdeführerin musste zwar infolge des Vorwurfs, mit einem gefälschten Dokument eingereist zu sein, mit strafrechtlichen Massnahmen rechnen. Aufgrund der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft sie nicht einvernahm und sie nach einem Tag aus der Haft entlassen wurde, musste sie aber nicht damit rechnen, mittels eines Strafbefehls mit einer unbedigten Freiheitsstrafe bestraft worden zu sein. Ihr kann damit keine grobe prozessuale Unsorgfalt vorgeworfen werden, welche es ihr verwehren würde, sich auf die fehlende Übersetzung zu berufen. Der blosse Zeitablauf begründet – entgegen der Ansicht der Vorinstanz (Entscheid, S. 6) – keinen Rechtsmissbrauch (E. 1.3.2). 

Das Strafgericht hatte die Einsprache übrigens noch für gültig erachtet.