Starke Belastung des Bundesgerichts durch die Landesverweisung

Die Landesverweisung nach Art. 66a ff. StGB scheint sich zu einem Schwerpunktgebiet der bundesgerichtlichen Praxis zu entwickeln. Jedenfalls fällt auf, dass es bei sehr vielen Beschwerden primär oder zumindest auch um die Landesverweisung geht. Ich habe auch den Eindruck, dass viele dieser Fälle in Fünferbesetzung entschieden werden, was darauf hindeuten könnte, dass noch etliche Fragen unbeantwortet sind.

Jüngstes Beispiel ist der Fall eines Serieneinbrechers (BGer 6B_883/2021 vom 04.11.2022), der sich erfolglos auf den Härtefall berufen hat. Oft geht es auch um das Familienleben (Art. 8 EMRK), insbesondere um minderjährige Kinder, die von einer Landesverweisung eines Elternteils stark betroffen sein können. Hier die theoretischen Erwägungen:

Minderjährige Kinder teilen das ausländerrechtliche Schicksal des obhutsberechtigten Elternteils. Wird ein Kind deshalb faktisch gezwungen, die Schweiz zu verlassen, sind insbesondere auch die Schwierigkeiten zu berücksichtigen, auf die es im Zielland treffen könnte, wobei Kindern im anpassungsfähigen Alter der Umzug in das Heimatland grundsätzlich zumutbar ist (vgl. BGE 143 I 21 E. 5.4; Urteil 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2 mit Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR). Eine Landesverweisung, die zu einer Trennung der vormals intakten Familiengemeinschaft von Eltern und Kindern führt, bildet einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens, der im Interesse des Kindes nur nach einer eingehenden und umfassenden Interessenabwägung und nur aus ausreichend soliden und gewichtigen Überlegungen erfolgen darf (vgl. Urteile 6B_1319/2020 vom 1. Dezember 2021 E. 1.2.3; 6B_855/2020 vom 25. Oktober 2021 E. 3.3.2; je mit Hinweisen). [E. 1.3.6.2].

In der Praxis reicht es dann meistens doch nicht (“keine nicht hinnehmbare Härte für den Verurteilten”). Soweit Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA zu beachten ist, spielt die Legalprognose mit:

Bei den vom Beschwerdeführer begangenen Delikten handelt es sich zwar nicht um solche gegen Leib und Leben. Die Vorinstanz legt jedoch zutreffend dar, dass es sich in ihrer Kumulation um schwerwiegende Delikte und damit einhergehend um eine schwere Störung der öffentlichen Ordnung handelt. Um annehmen zu dürfen, dass diese weiterhin gefährdet bleibt, genügt damit auch ein geringes, aber tatsächlich vorhandenes Rückfallrisiko für eine aufenthaltsbeendende Massnahme im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA. Bei der dargelegten Ausgangslage bestehen keine allzu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Straffälligkeit (vgl. Urteile 6B_134/2021 vom 20. Juni 2022 E. 5.6; 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.7.2; 2C_529/2019 vom 31. Oktober 2019 E. 5.2.2). Diese sind, wie die Vorinstanz zutreffend erkennt, vorliegend erfüllt (E. 1.5.3, Hervorhebungen durch mich).