Wer ist der Hauptvertreter und wer verteidigt wie?

Wenn ein Beschuldigter mehrere Verteidiger hat, muss er seinen Hauptvertreter bezeichnen (Art. 127 Abs. 2 StPO). Das gilt auch, wenn er einen amtlichen und einen privaten Verteidiger hat. Im Kanton Luzern wollte die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten den amtlichen Verteidiger als Hauptvertreter aufs Auge drücken. Das Bundesgericht lässt dies jedoch nicht zu (BGer 1B_424/2020 vom 15.12.2020, Fünferbesetzung).

Indem die Staatsanwaltschaft ohne Anhörung des Beschuldigten dessen Hauptvertretung bezeichnet und damit bestimmt hat, wer zu den Vertretungshandlungen vor den Strafbehörden befugt ist – und somit z.B. wer sich im Falle einer Verhandlung vor dem Gericht äussern darf -, hat sie nicht nur das Recht des Beschuldigten, seine Verteidigung zu bestimmen, in unzulässiger Weise eingeschränkt (vgl. 6B_744/2017 vom 27. Februar 2018 E. 1.5), sondern auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ohne dass relevante Gründe im Sinne von Art. 108 StPO ersichtlich wären, die diese Einschränkung rechtfertigen würden (E. 2.7). 

In derselben Strafsache lässt das Bundesgericht dagegen auch einen Verteidigerwechsel nicht zu, obwohl der amtliche Verteidiger eine völlig andere Verteidigungsstrategie fährt als der der private (BGer 1B_425/2020 vom 15.12.2020, Fünferbesetzung). Die Beschwerde des Beschuldigten weist es als aussichtslos ab. Was man in diesem Entscheid zum Sachverhalt liest, ist schier unglaublich. Hier ein Beispiel:

Er macht im Wesentlichen geltend, es liege eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses vor, weil der a.o. amtliche Verteidiger den Beschuldigten für schuldig halte. Entgegen der Ansicht des privaten Verteidigers geht dies jedoch weder aus den Eingaben des a.o. amtlichen Verteidigers an das Kantonsgericht hervor noch aus dem Umstand, dass ein abgekürztes Verfahren eingeleitet worden ist. Nach den Sachverhaltsfeststellungen des Kantonsgerichts hat der a.o. amtliche Verteidiger vielmehr den Beschuldigten über die verschiedenen Prozessführungsstrategien aufgeklärt und sich gemeinsam mit diesem – insbesondere angesichts der vom Beschwerdeführer getätigten Aussagen – für das abgekürzte Verfahren gemäss Art. 358 ff. StPO entschieden. Aus diesem für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt (vgl. oben E. 2.1) ergibt sich in keiner Weise, dass der a.o. amtliche Verteidiger gegenüber den Strafbehörden angedeutet hat, er halte seinen Mandanten für schuldig. Vielmehr hat der a.o. amtliche Verteidiger dadurch seine anwaltliche Fürsorgepflichten erfüllt (E. 3.3).  

Der amtliche Verteidiger hat im Verfahren offenbar auch über Interna berichtet:

Gemäss den glaubhaften Ausführungen des a.o. amtlichen Verteidigers habe er den Beschuldigten bislang nach bestem Wissen und Gewissen offen beraten. Es werde von ihm insbesondere in Abrede gestellt, dass er den Beschuldigten für schuldig gehalten und ihm gesagt habe, wie er aussagen solle. Für eine objektive Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses reiche es nicht, dass der a.o. amtliche Verteidiger dem Beschuldigten intern mögliche Szenarien darlege und in diesem Rahmen im Hinblick auf die Durchführung des abgekürzten Verfahrens auch die Anerkennung der Tatvorwürfe zur Diskussion stelle. Unbestrittenermassen habe der Beschuldigte unwiderruflich der Anklageschrift mit Urteilsdispositiv im abgekürzten Verfahren zugestimmt. Der Beschwerdeführer habe nicht aufgezeigt, dass die Zustimmung auf Willensmängeln bzw. auf einem Irrtum beruhe und dies ergebe sich auch nicht aus den Akten. Es sei ausserdem nicht erstellt, dass der a.o. amtliche Verteidiger den Beschuldigten falsch informiert habe. Ein Verteidigungswechsel vermöge aufgrund der gegen ihn sprechenden Aktenlage, die Prozesssituation kaum zu verändern. Entscheidend sei, dass der Beschuldigte freiwillig und unbestrittenermassen ein Geständnis abgelegt habe, das aufgrund der objektiven Beweislage in rechtlicher Hinsicht die Annahme von zumindest Gehilfenschaft zu den vorgeworfenen Straftaten wahrscheinlich erscheinen lasse. Anhaltspunkte für eine unzureichende a.o. amtliche Verteidigung seien nicht ersichtlich in diesem Punkt. Der Beschuldigte selber habe sich zudem gegenüber dem a.o. amtlichen Verteidiger nie dahingehend geäussert, er sei mit der Prozessführungsstrategie nicht einverstanden. Auch habe er gegenüber dem a.o. amtlichen Verteidiger nie den Wunsch geäussert, er möchte die Rechtsvertretung wechseln. In diesem Zusammenhang äussert die Vorinstanz ihren Eindruck, dass der Antrag auf Wechsel des a.o. amtlichen Verteidigers nicht in dessen Person und/oder Engagement begründet sei, sondern auf ausdrücklichen Wunsch der Familie des Beschuldigten erfolgt sei (E. 3.2). 

Soll damit der Beschuldigte ins abgekürzte Verfahren geführt werden oder passt sich der amtliche Verteidiger nun doch der Strategie des privaten Verteidigers an? Oder entlässt die Staatsanwaltschaft nun den amtlichen Verteidiger, damit der private dann die Umwandlung in eine amtliche Verteidigung beantragen kann? Zwei Entscheide des Bundesgerichts, die eine eklatante Schwachstelle des Gesetzes (und der Rechtsprechung) offenlegen.