Justizwillkür
Nach einem aktuellen Bericht der NZZ regiert bei erstinstanzlichen Richterinnen und Richtern in der Schweiz weitgehend der Zufall, wenn es um die Strafzumessung geht. Dieser Befund ist weniger überraschend als das Ausmass, das im Bericht beschrieben wird. Ich will gar nicht darüber nachdenken, nach welchen Kriterien die erstinstanzlichen Richterinnen und Richter über Schuld oder Unschuld entscheiden.
Über die Gründe muss man eigentlich auch nicht lange nachdenken. Wer einen Beruf nicht lernt, wird ihn zumindest am Anfang nicht können. Wenn dann noch hinzu kommt, dass für ein Richteramt Fachkompetenz und Lebenserfahrung so gut wie keine Rolle mehr spielen, wird Willkür Programm.
Das alles gilt natürlich nicht nur für erstinstanzliche Richterinnen und Richter, sondern auch für alle anderen Akteure im Bereich der Strafjustiz. Letztere erlassen aber wenigstens keine Urteile (Strafbefehle vorbehalten).
Wirklich bedenklich. Aber: Wenn man besser qualifizierte Richter möchte, muss man den Job attraktiver machen, z.B. Teilzeitarbeit ermöglichen, spezialisierte Gerichte schaffen, klare (strenge?) Wahlvoraussetzungen festlegen etc.
Gerade die ersten Instanzen sind in vielen Kantonen einfach so ausgestaltet, dass man den Job gar nicht seriös ausüben kann, auch wenn man es möchte. Wer schafft es schon, sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht immer up to date zu sein… Mit der Schaffung von spezialisierten Gerichten – mindestens in Straf- und Zivilgericht unterteilt – wäre wohl schon viel erreicht. So wie es aktuell ist, überrascht es mich nicht, dass kaum noch erfahrene/etablierte Juristen sich für (erstinstanzliche) Richterstellen bewerben. Und auch die Parteibindung und diese unsäglichen Volkswahlen sind einfach nicht mehr zeitgerecht. Aber jede Reorganisation hätte wohl auch höhere Kosten zur Folge und dürfte politisch deshalb chancenlos sein. Aber man kann ja mal hoffen, dass der NZZ-Bericht auch in der Politik etwas auslösen könnte….
Das ist keine neue Erkenntnis. Aber schön, dass es thematisiert wird.
Von eigentlicher „Justizwillkür“ würde ich nicht sprechen, das ist unsachlich und reisserisch. Der Ermessensbereich bei der Strafzumessung ist aber schon sehr gross, was indes vom Gesetzgeber so gewollt ist. Zu Bedenken ist weiter Folgendes: Es macht einen enormen Unterschied, ob man als Richter/in (einerseits) einen echten Straffall zu beurteilen hat, die oftmals umfangreichen Untersuchungsakten während Tagen bis Wochen studiert, danach eine Hauptverhandlung mit persönlichem Eindruck von der beschuldigten Person und ausführlicher Befragung durchführt, anschliessend die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Privatklägerschaft und Verteidigung hört und schliesslich, zumeist im Dreiergremium, im Rahmen einer ausführlichen Urteilsberatung alle Punkte diskutiert, berät und austariert, oder ob man (andererseits) irgendeinen Muster- oder Prüfungsfall ohne Hintergrundinformationen „einfach so“ vorgesetzt erhält, den man im Rahmen einer Umfrage – mehr als Pflichtübung denn aus grossem Engagement – irgendwann nebenher „husch-husch“ überfliegt und kurzerhand mit einer Strafmass-Zahl beantwortet. Im realen Leben sieht vieles, gerade auch die Beurteilung von Straffällen, ganz anders aus als im Rahmen einer solchen Umfrage. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass dieser Umstand einen grossen Einfluss auf die Resultate dieser Umfrage hatte und dass diese Umfrage deshalb nicht wirklich aussagekräftig ist. Natürlich gibt es enorme (manchmal gar erstaunliche bis erschreckende) Unterschiede bei der Beurteilung ähnlicher Fälle, verteilt über die ganze Schweiz, von Gericht zu Gericht und auch von Person zu Person. Dies liegt aber weitgehend im Wesen der Sache und im grossen Beurteilungsermessen. Das Ziel muss letzten Endes die Einzelfallgerechtigkeit im konkreten Fall sein. Eine Durchschnittsjustiz ist jedenfalls auch nicht erstrebenswert. Und wenn man sich als Betroffener ungerecht beurteilt fühlt – vielleicht sogar zu Recht – gibt es den Rechtsmittelweg. Richtigerweise auferlegt sich aber auch das Bundesgericht grosse Zurückhaltung beim Eingriff in die Strafzumessung kantonaler Vorinstanzen. Und da der Einzelfall in all seinen Facetten zählt (und natürlich auch das persönliche Ermessen jedes/r Richters/in; das sind schliesslich reale Menschen mit persönlichen Werthaltungen und Hintergründen und keine KI-gesteuerten Programme), machen auch allgemeine Datenbanken zum Strafmass wenig Sinn, denn sie könnten kaum je alle relevanten Faktoren abbilden (z.B. Umfang des Geständnisses, Verfahrensdauer, Vorleben, Tatmotiv, Fragen der Schuldfähigkeit und vieles mehr – bis hin zum persönlichen Eindruck der beschuldigten Person vor Gericht), die bei der konkreten Beurteilung manchmal viel mehr ausmachen als der Tatbestand an sich oder klar messbare Faktoren (wie Deliktsbetrag, Drogenmenge usw.). Sie würden letztlich einer durchaus erwünschten Weiterentwicklung der Strafrechtspraxis (auch z.B. im Zusammenhang mit veränderten Rahmenbedingungen, gesellschaftlichen Entwicklungen oder veränderten Sichtweisen in der breiten Bevölkerung und der Fachwelt) sogar eher entgegenwirken.
Dieser Beitrag bringt es perfekt auf den Punkt! Ich sehe es genauso.
Vieles davon kann ohne Probleme in die KI programmiert werden das ist heute ohne weiteres Möglich nicht programmiert werden kann, das Ermessen des Richters (für was braucht den der Richter ein Ermessen, wenn alle relevanten Punkte austariert wurden, sollte es ja eben gerade KEIN Ermessen mehr benötigen), das Ermessen lässt sich von Willkür nicht unterscheiden, da es offensichtlich subjektive nicht messbare Kriterien in das Strafmass am Schluss in die eine oder andere Richtung bewegen (wie Sympathie, Hautfarbe, Politische Ansichten, Wertvorstellungen etc) das alles hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun sondern ist der Inbegriff der Willkür.
Die Gesellschaftliche Entwicklung oder die Sichtweise der breiten Bevölkerung hat den ebeso wenig verloren in Strafurteilen, das würde ja dazu führen das je nach dem woher der Wind gerade weht Urteile bei indentischer Gesetzeslage ganz unterschiedlich ausfallen auch dies ist der Inbegriff von Willkür. Massgeben sollten allein die messbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse sein.
Ich bin davon überzeugt jede KI würde viel bessere Urteile fällen als Gerichte, weil Sie eben gerade Werteneutral ohne Vorbelastung alleine basieren auf den Fakten Entscheiden, beim Gericht kennt der Richter und Staatsanwalt sich meist gut an Erstinstanzlichen Gerichten was zu entsprechendem Verhalten führt.
Aufgrund Ihrere Verteidigung gehe ich davon aus das Sie Staatsanwalt und damit Günstling des heutigen Systems sind, ich bi froh das die Kostenlast langfristig sowieso keine andere Option als die Digitalisierung mehr zulässt und damit die unfairen Parteiischen Inquistionsgerichte wirklich der Vergangenheit angehören. Programme werden die bestende Rechtsprechung und sogar die Grundrechte berücksichtigen.
Kommt es so fest auf die Partei-Zugehörigkeit an ?
Das ist meiner Meinung nach das Hauptproblem der Unparteiische Richter der ohne Parteibuch nicht gewählt wird, Urteile und Strafmass hängen daher weniger vom Zufall sondern den eigenen Moral und Wertvorstellungen ab.
Subjektive Erkenntnisse nach über dreissig Jahren praktischer Juristerei – zuerst hinter den Schranken, dann davor. Erstens und am gewichtigsten: Sag mir, wer Du bist, und ich sag Dir, was Dein Urteil ist. Zweitens: Wer kaum je auf der anderen Seite tätig war, urteilt einseitiger und überschätzt das Beweismaterial, das ihm der Staat vorlegt. Drittens: Echte Kollegialgerichte urteilen ausgewogener als Einzelrichter oder Scheinkollegien, unter denen schon vor der Verhandlung der ausformulierte Urteilsvorschlag des referierenden Richterkollegen zirkuliert hat. Viertens: Je länger der Machtgenuss auf dem Richterstuhl und je gewisser die Wiederwahl bis zur Altersrente, desto selbstherrlicher und desinteressierter die Entscheide und der Umgang mit den Rechtsuchenden. Natürlich gibt es dazu mehr oder weniger häufige Ausnahmen. Positiv: Wer sich dessen bewusst ist, urteilt besser.
Ich frage mich, wie sich eine personelle Trennung von Schuldspruch / Strafzumessung auswirken würde. Wenn es wie im angelsächsischen System zuerst ein Gremium gäbe, dass Schuld oder Unschuld feststellt, würde das den Schuldspruch objektiver (mangels besseren Begriffs) machen? Meiner Meinung nach müsste das eigentlich zu mehr Freisprüchen führen, weil die Hemmschwelle höher ist – wenn man die Strafe nicht selber zumisst, kann man jemanden nicht „halb“ schuldig sprechen.
Auf der anderen Seite wäre die Strafzumessung aber umso wilder, wenn der Richter damit dann versucht, einen Schuldspruch, mit dem er nicht einverstanden ist, zu korrigieren.