Kollusionsgefahr und Schuldverhaft

Obwohl das Verbot des Schuldverhafts nicht mehr ausdrücklich in der Bundesverfassung erwähnt wird, gilt es gemäss Bundesgericht weiterhin (BGer 1B_158/2014 vom 25.06.2014, Fünferbesetzung):

Keinen strafprozessualen Haftgrund bildet der verfassungsrechtlich verpönte sogenannte Schuldverhaft. Zwar wurde das Verbot dieses Haftgrundes nicht mehr ausdrücklich (aus Art. 59 Abs. 3 aBV) in die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 übernommen. Es fliesst jedoch als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz sowohl aus dem Schutz der Menschenwürde (Art. 7 BV) als auch aus dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV). Als unzulässiger Schuldverhaft gilt grundsätzlich jede Inhaftierung eines Schuldners zur Durchsetzung einer unbezahlten Schuldforderung, worunter (im Gegensatz zu in Freiheitsstrafe umwandelbaren unbezahlten Bussen) auch vom Staat auferlegte Verfahrens- und Betreibungskosten fallen (BGE 130 I 169 E. 2.2-2.3 S. 171 f. mit Hinweisen) [E. 2.3].

Anlass zu diesem Entscheid gab offenbar ein Missverständnis. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat einen Haftentlassungsentscheid bis ans Bundesgericht gezogen und machte geltend, die Vorinstanz sei von einem unpräzisen Begriff des Schuldverhafts ausgegangen. Dabei hat sie aber einfach den Entscheid falsch gelesen bzw, nicht erkannt, dass es sich bei der beanstandeten Erwägung lediglich um ein obiter Dictum handelte:

Die Fragen, wie hoch der Deliktsbetrag der untersuchten Vermögensdelikte ist und wohin der Beschuldigte deliktisch erworbene (der Einziehung unterliegende) Vermögenswerte verschoben hat, bilden zwar durchaus einen kollusionsfähigen Untersuchungsgegenstand des Strafverfahrens. Auch diese Fragen gehören zur „Wahrheitsfindung“ im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO (bzw. zur „Verfolgung und Beurteilung“ von Straftaten gemäss Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 StPO). Dementsprechend können strafprozessuale Zwangsmassnahmen (insbesondere Einziehungsbeschlagnahmungen) im Rahmen der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Schranken auch der vorläufigen Sicherstellung von strafrechtlichen Ausgleichseinziehungen dienen (Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO i.V.m. Art. 70-73 StGB; vgl. Niklaus Schmid, Praxiskommentar StPO, 2. Aufl., Zürich 2013, Art. 221 N. 7). Die Vorinstanz stellt dies jedoch gar nicht in Abrede. Ebenso wenig verwechselt sie in diesem Zusammenhang den strafprozessualen Haftgrund der Kollusionsgefahr mit (unzulässigem) Schuldverhaft. Indem das Obergericht (im Sinne eines obiter dictums) erwog, das „ausschliessliche“ Ziel einer Sicherstellung der Vermögensrestitution würde keinen strafprozessualen Haftgrund bilden, verletzte es das Bundesrecht im Ergebnis nicht (E. 3.2).