Maulkorb für Rechtsanwälte?
Labeo stellt die Frage aus Anlass zweier aktueller Entscheide des Bundesgerichts (BGE 2A.368/2005 vom 12.10.2005 und BGE 2A.168/2005 vom 06.09.2005), die er im Ergebnis zu begrüssen scheint und in seinem Beitrag zu folgendem Schluss kommt:
Hintergrund dieser auf den ersten Blick streng erscheinenden Rechtsprechung ist wohl der Gedanke, dass Polemik oder ehrverletzende Äusserungen eines Rechtsvertreters seinem Mandanten wohl mehr schaden als nützen. So gesehen geht es um den Schutz einer qualitativ genügenden Rechtsvertretung und damit um den Schutz des Mandanten.
Es mag sein, dass Polemik von Rechtsanwälten den Interessen der Mandanten schaden kann, was ja aber eigentlich nicht sein dürfte und damit auch nicht der Hintergrund dieser Rechtsprechung sein kann. Die Beörden haben wenigstens nach meinem Verständnis nicht das Verhalten der Vertreter zu beurteilen, sondern die Rechtsbegehren der Vertretenen.
Fragwürdig an der Rechtsprechung (darf ich das sagen?) erscheint mir, dass es im Ergebnis wohl nicht darauf ankommt, was man sagt, sondern wie man es sagt: „Sag was Du willst, aber sag es gefälligst politisch korrekt.“
Sie haben Recht, dass die Behörden nicht das Verhalten des Rechtsvertreters sondern die Rechtsbegehren des Vertretenen zu beurteilen haben. Es ist die noble Pflicht jedes Rechtsvertreters, diese, die Rechtsbegehren, so effektiv wie möglich zu vertreten. Er hat sich für nichts anderes als für die Sache des Vertretenen einzusetzen. Je mehr er sich jedoch von der Sache entfernt, weil er etwa von Polemik geblendet wird, desto mehr schadet er seinem Mandanten. Ein Zeitgenosse von mir hat dies so trefflich formuliert: „Ímpedit íra animúm, ne póssis cérnere vérum“.
War das nicht Cato der Ältere, den man auch „Censorius“ nannte?
Ich muss Sie leider enttäuschen. Das von mir erwähnte Zitat stammt aus den „disticha catonis“. Der Verfasser dieses Werkes ist anonym. Man nannte ihn Dionysius Cato. Er dürfte ca. im 3. Jh. nach Christus gelebt haben. Somit handelt es sich natürlich nur im weitesten Sinne um einen Zeitgenossen von mir, wenn man das Römische Reich als Zeitepoche betrachtet.
„Zensor“ hätte ja auch einfach zu gut gepasst.
Ich stimme ja mit Ihnen und Ihrem Zeitgenossen überein. Ich halte nur dafür, dass Disziplinarmassnahmen gegen polemische oder ehrverletzende Äusserungen von Anwälten letztlich eben doch Maulkörbe sind. Die Grenzen sollte das Strafrecht setzen (vgl. dazu aber BGE 6P.154/2004 und 6S.415/2004 vom 23.06.2005). Mit dem Disziplinarrecht wird doch nur die Grenze der Strafbarkeit vorverlegt, und zwar mit Bussen, die m.E. durchaus Strafcharakter haben.