Staatsanwaltschaft c. Vorinstanz 24:0
Heute hat das Bundesgericht 24 Entscheide der beiden strafrechtlichen Abteilungen ins Internet gestellt. Die Beschwerden der privaten Beschwerdeführer wurden ausnahmslos abgewiesen. Soweit sie unentgeltliche Rechtspflege beantragt hatten, erweisen sich ihre Beschwerde allesamt als aussichtslos.
Andererseits wurden aber auch zwei Beschwerden gutgeheissen, nämlich die beiden Beschwerden der Strafverfolgungsbehörden.
Auch wenn der heutige Tag nicht repräsentativ ist. Es fällt schon auf, dass die Erfolgsquote der Strafverfolgungsbehörden, die ohne jedes Kostenrisiko prozessieren können, viel höher ist als diejenige der Bürgerinnen und Bürger, die zudem immer öfter ohne Aussicht auf Erfolg prozessieren.
Genau was ich will: Ein vorhersagbares Gericht.
– Wenn Beschwerdeführer Staatsanwaltschaft, dann gutgeheissen.
– Wenn Beschwerdeführer ein Vermögen von über 100mio hat, dann gutgeheissen.
– Wenn Beschwerdeführer Bonze, dann teilweise gutgeheissen.
– Wenn Beschwerdeführer Normalo, dann abgelehnt.
– Wenn Beschwerdeführer Unterschicht, dann aussichtslos oder gleich nicht eintreten.
BGG sollte einen Artikel erhalten, der festhält, dass der Beschwerdeführer min. den Jahreslohn eines Bundesrichters vorweisen muss (verdienen 1300 CHF / Tag ohne Goodies eingerechnet), oder auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Arme haben keinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 0 BGG.
Das ist doch logisch, Koni: schon das die StPO definiert die Gerichte als Strafbehörden!
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Gerichte sind von Gesetzes wegen nicht etwa der Unschuldsvermutung oder einem fairen Verfahren, sondern der Strafe verpflichtet. Das sagt schon alles. Zumindest in diesem Punkt ist das BGer der Auffassung, dass die StPO auch auf das Verfahren vor BGer anwendbar ist: Auch das BGer scheint sich als Strafbehördenzu verstehen.
Ein Staat, der vornehmlich darauf aus ist, seine Bürger:innen nicht etwa fair zu behandeln, sondern vor allen Dingen zu bestrafen, ist meinem Verständnis nach kein Rechtsstaat, sondern vielmehr ein autokratisches Gebilde, erst recht wenn alle Behörden (inkl. Gerichte) von Gesetzes wegen Strafbehörden sind. Das Feigenblatt Verteidigung ist nur erwünscht, solange es spurt. Wenn sie dem Staatsapparat den Spiegel vorhält und die Strafbehörden in die hässliche Fratze der Straflust blicken lässt, wird auch sie zum Objekt der staatlichen Straflüsternheit.
@Andreas Noll: Das stimmt schon. Die Gerichte als Behörden und sogar als Strafbehörden zu bezeichnen, spricht Bände. Das ständige Rechtsstaats-Geschwafel ist schon deshalb schwierig, weil die Schweiz gar kein Rechtsstaat sein will (Demokratieprinzip vor Rechtsstaatsprinzip). Dass man als Verteidiger den Staat (oft inkl. Gerichte) als autokratisch erlebt, ist Programm.
@Andreas Noll und @KJ: Danke für die klaren Worte von zwei erfahrenen Strafverteidigern!
Ihre übereinstimmende Feststellung autokratischer Tendenzen in der Justiz und damit im Staatsgebilde der Schweiz wird sich durch weitere Belege erhärten.
Das zeigt sich ja schon daran das der Staat selbstgefährdung Strafrechtlich sanktionieren muss, es geht also gar nicht darum irgendwelche Rechtsgüter zu schützen oder Verletzungen Dritter zu sanktionieren es geht darum den Bürger in die eigenen moralischen Wertvorstellungen zu pressen, das unterscheidet sich kaum von Zeiten der Inquistion.
Dies ist umso unverständlicher als das für die Personen die tatsächlich eine Gefahr für sich selbst darstellen ja mit dem Fürsorgerischen Freiheitsentzug bereits ein Institut besteht.
Wenn was zur persönlichen Freiheit gehört, nähmlich zu Entscheiden wie gefährlich ich leben will, strafrechtliche Sanktionen folgen weiss man die Verfassung ist in der Schweiz nicht mal das Papier Wert auf welche Sie geschrieben ist.
Heisst das auch, dass noch mehr Anwälte – als Laien unterlagen ?
Laien haben sicherlich gewisse Vorteile bei den qualifzierten Rügeanforderungen.
Irgendwie muss die 150-Jahr-Feier finanziert werden!
Die Staatsanwaltschaft macht Beschwerden eben nur in wirklich begründeten Falleleleleblablablabla…
Ja, das ist auffallend. Die Zahlen in der Statistik alleine sind aber wenig aussagekräftig, die Frage, ob ein Entscheid richtig ist, entscheidet sich am Inhalt. Wenn ich den Post richtig interpretiere, wurden 22 Beschwerden von Privaten beurteilt (und abgewiesen) und 2 Beschwerden von Staatsanwaltschaften (und gutgeheissen).
Ich stelle mir daher die Frage, ob dies nicht mindestens teilweise daran liegen könnte, dass die Interessenlage bei der Einreichung von Beschwerden durch Staatsanwaltschaften einerseits und durch Private andererseits, insbesondere Beschuldigte, sehr unterschiedlich sind: Die Staatsanwaltschaften reichen möglicherweise nur dann Beschwerde beim Bundesgericht ein, wenn es um eine wichtige Frage und/oder einen wichtigen Fall geht, gerade wegen der Ressourcen (Arbeitszeit/Staatsgelder können sonst effizienter eingesetzt werden), während Private, die für ihre eigene Sache kämpfen, immer ein Eigeninteresse haben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und wer hofft, seine eigene Lage verbessern zu können, wird schneller zu einem Rechtsmittel greifen als eine Behörde – selbst beim Risiko, das es finanziell etwas kostet.
Vielleicht sind die Staatsanwaltschaften auch kritischer bei der Beurteilung ihrer Chancen und beschränken ihre Beschwerden auf Fälle, in denen sie die Chancen für hoch erachten? Als guter Strafverteidiger will man den Klienten etwas anbieten können und zeigt jede kleine Chance und mögliche Argumentation auf. Vielleicht werden die Chancen des Rechtsmittels tendenziell zu hoch eingeschätzt…?
Das sind natürlich alles nur Hypothesen. Aber dem Umstand, dass auf 22 Beschwerden von Privaten bloss 2 Beschwerden von Strafbehörden kommen, müsste m.E. auch Rechnung getragen werden.
@Anonym: wer als Verteidiger seiner Mandantin erklärt, die Chancen einer erfolgreichen Beschwerde an das Bundesgericht seien höher als 10%, bewegt sich auf dünnem Eis, und zwar auch dann, wenn er selbst nach eingehender Abklärung überzeugt ist, der anzufechtende Entscheid sei bundesrechtswidrig. Eigentlich ist jede Auskunft kritisch, die von der Statistik abweicht. Bei Staatsanwaltschaften sind alle Parameter komplett anders. Aber der Eindruck, dass das Bundesgericht im Zweifel für den Staat entscheidet, ist sicher nicht falsch.
Ja genau so ist es……aber ein Verteidiger ist ja bekanntlich Null objektiv…und er muss es auch nicht sein.
Auf die Frage an einen Bundesgerichtsschreiber, weshalb so wenige Beschwerden Erfolg haben (mehrere in- und ausländische Anwälte und ein Oberrichter am Tisch) folgt: ein Achselzucken. Auf Nachfrage: Die Qualität der Beschwerden sei oft ungenügend. Auf Nachfrage: Wahrscheinlich hätten die Anwälte zu wenig Zeit für eine sorgfältige Beschwerde. Keine weiteren Nachfragen.
Tatsächlich ist der Aufwand für eine Bundesgerichtsbeschwerde enorm (für max. CHF 3’000.- Entschädigung bei Obsiegen), denn eine der Hauptaufgaben des Gerichts scheint darin zu bestehen, Nichteintretensgründe oder ungenügende Rügen zu finden. Die Schwierigkeit der Juristerei ist ja nicht die Rechtsfrage. Die können Studenten im letzten Semester bewältigen. Die Schwierigkeit ist die Tatfrage, die Wahrheit, durch alle (beiden kantonalen) Instanzen durch. Und dafür ist das Bundesgericht bekanntlich nicht zuständig, ausser bei offensichtlichen Fehlern, die es in der Justiz so offensichtlich gar nicht geben dürfte. Willkür zu rügen, ist trotz Offensichtlichkeit trotzdem schwierig. Vor kurzem hiess es in einer Begründung (sinngemäss), dass der (sehr bekannte) Anwalt ja nicht geschrieben habe, der Sachverhalt sei offensichtlich unrichtig, sondern nur, er sei unrichtig, womit er also keine Willkür rüge … Abweisung.
@AdB: Das Argument der mangelnden Qualität tönt plausibel. Solange man die Beschwerden nicht publiziert, lasse ich es aber nicht gelten. Ich habe schon qualitativ sehr schwache Beschwerden gesehen, die gutgeheissen wurden und m.E. sehr gute, auf die nicht eingetreten wurde (Willkürhürde).
Die an einem einzigen Tag ermittelte «Erfolgsquote» sagt für sich genommen wenig aus. Das subjektive Gefühl, dass die Strafverfolgungsbehörden erfolgreicher prozessieren, bleibt dennoch interessant.
Ich unterbreche an dieser Stelle einmal den üblichen Verteidiger- und Schwurbler-Gottesdienst und behaupte, dass einer der – von sicherlich mehreren – Einflussfaktoren die ausgeprägte Beschwerdefreudigkeit mancher Verteidigungen sein könnte.
Es soll Verteidigungen geben, die ihre Aufgabe darin sehen, gegen nahezu alles Beschwerde oder Berufung einzulegen. Sollte diese Überlieferung tatsächlich zutreffen, wäre es kaum überraschend, wenn gerade solche Strategien häufiger zum Unterliegen führen – gewissermassen als eine Art Korrekturmechanismus.
@Beschwerdeführende Person: Du eröffnest einfach einen anderen Gottesdienst. Die andern mögen Schwurbler sein, aber der Prediger in Deinem Gottesdienst hat Grundlegendes nicht überlegt, geschweige denn verstanden.
@Beschwerdeführende Person: da ist einiges dran….
Zudem: sehr oft werden ja einfach die vorinstanzlichen Beschwerdeschriften praktisch 1:1 beim BGer eingereicht. Und dann wundert man sich, dass die Erfolgsquote tief ist…
Es soll Verteidigungen geben, die ihre Aufgabe darin sehen, gegen nahezu alles Beschwerde oder Berufung einzulegen. Sollte diese Überlieferung tatsächlich zutreffen, wäre es kaum überraschend […]
Ich glaube nicht an diese „Überlieferung“.
Meiner Erfahrung nach ist eher das Gegenteil der Fall: Strafverteidiger kooperieren mit der Staatsanwaltschaft und anderen Justizbehörden.
Verständlicherweise möchten Anwälte ihre Berufskollegen, mit denen sie noch jahrzehntelang zusammenarbeiten werden, nicht verstimmen – auch nicht für einen wohlhabenden Mandanten, geschweige denn einem Zahlungsschwächling, der einmalig mehrere Tausend Franken zahlt.
Besonders gravierend empfinde ich die Situation in Schaffhausen, das eine regelrechte Drehscheibe für solche Anstellungen zu sein scheint. Dort teilen sich Staatsanwaltschaft, Mitglieder der Regierung und das Obergericht die Stellen.
Wenn dann das Obergericht de facto die Aufsicht führt (obwohl de jure die Aufsichtsbehörde zuständig ist, diese aber aus denselben Personen im selben Gebäude besteht), ist es nur nachvollziehbar, dass ein Anwalt nicht die Hand beisst, die ihn füttert. Seine Aufträge erhält er dann faktisch nicht vom Klienten, sondern von der Staatsanwaltschaft und ähnlichen Institutionen. Diese erschaffen die kurzfristigen Jobs. Die langfristigen Jobs erschaffen die Gesetzesgeber und da ist es egal ob ein neuer StGB-Artikel von Links oder Rechts kommt – Hauptsache, er schafft Kohle. Der beste Beweis dafür ist die gesetzlich (von ihnen selbst) festgelegte Monopolstellung: Darfst du Anwalt spielen? Nope 😛
Hust hust, in der IT haben wir auch Monopole wie Microsoft, Google und co. Aber die haben es sich auch verdient – vor allem weil sie mit Leistung überzeugen und nicht Gesetze im Rücken haben, die andere verbieten.