Ausnahmsweise doch Untersuchungshaft?
Im Kanton Zürich befindet sich ein Mann seit über einem Jahr in Untersuchungshaft (Vermögensdelikte / Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO). Das Bundesgericht kassiert zwar den letzten Haftentscheid des Obergerichts, entlässt den Beschwerdeführer aber nicht aus der Haft (BGer 7B_682/2025 vom 19.08.2025).
Zur Verletzung von Bundesrecht:
Diese dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Delikte wiegen nicht leicht, wurde das am meisten betroffene Opfer doch im Betrag von rund Fr. 47’000.– geschädigt und liegt die mutmassliche Gesamtdeliktssumme gemäss Anklage bei rund Fr. 66’000.–. Zugleich ist aber auch zu beachten, dass die untersuchten Delikte sehr spezifischer Natur sind und zumindest hinsichtlich des Vorwurfs der arglistigen Vermögensschädigung anscheinend (noch) keine Erkenntnisse über die Hintergründe der Tat und insbesondere die Motive des Beschwerdeführers vorliegen. Soweit die Vorinstanz einzig gestützt auf die untersuchten Delikte zum Schluss gelangt, dass auch künftig Delikte drohten, die eine erhebliche Gefährdung für die Sicherheit anderer darstellen, und sich daher ausnahmsweise die Anordnung von Haft wegen Wiederholungsgefahr als zulässig erweise, kann ihr nicht gefolgt werden. Der angefochtene Entscheid verletzt Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO (E. 3.3, Hervorhebungen durch mich).
Das liest sich, als ob das Obergericht die Haftvoraussetzungen (unmittelbare erhebliche Gefährdung der Sicherheit anderer) selbst nicht als erfüllt erachtet, die Haft aber ausnahmsweise dennoch verlängert.
Zur verweigerten Entlassung:
Damit ist indessen nicht gesagt, dass sich die Anordnung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr gegen den Beschwerdeführer als unzulässig erweist. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, dass im Strafregisterauszug des Beschwerdeführers zwischen 2006 und 2021 sechs Vorstrafen verzeichnet sind. Diese Verurteilungen, so die Vorinstanz, „umfassen u.a. (teilweise mehrfach) auf Betrug (teilweise gewerbsmässig), einfachen Diebstahl, Urkundenfälschung, Veruntreuung, betrügerischen Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage (teilweise gewerbsmässig) und Begünstigung (teilweise mehrfach) “ und hatten anscheinend mehrere jeweils mehrjährige unbedingte Freiheitsstrafen zur Folge. Dabei habe der Beschwerdeführer auch „jüngst bereits kurz nach seiner letzten bedingten Entlassung […] und während laufender Probezeit wiederum mutmasslich delinquiert“. Die Vorinstanz stellt ihm daher eine stark belastete Legalprognose aus und attestiert ihm gar einen „offenbaren Hang“ zur Delinquenz, was vom Beschwerdeführer (zumindest vor Bundesgericht) nicht bestritten wird.
Aus prognostischer Warte stellen rechtskräftige Verurteilungen für erst wenige Jahre zurückliegende Delikte die geeignetsten Indikatoren für die unmittelbare Gefahr weiterer Delikte von einer vergleichbaren Schwere dar (vgl. Urteil 7B_1035/2024 vom 19. November 2024 E 2.8.2, zur Publikation bestimmt, mit Hinweisen). Bei der Beurteilung, ob vom Beschwerdeführer künftig Delikte drohen, die eine erhebliche Gefährdung für die Sicherheit anderer darstellen, sind daher vorliegend zwingend auch die Vortaten zu berücksichtigen. Die Vorinstanz wird den Sachverhalt diesbezüglich näher abklären und gewichten müssen (E. 3.4, Hervorhebungen durch mich).
Man muss sich mal vorstellen die StA würde beschwerde erheben und die Erwägungen des BGE wären:
Die Vorinstanz wird zu prüfen haben ob Sie den Beschwerdegegner daher aus anderen Gründen freisprechen kann.
@John
Eine Vorstellung erübrigt sich – bei den Reichen (CEOs & Co.) wird das Bundesgericht ohnehin schnell zum faktischen Verteidiger. ?
Rein rechtlich hat das Bundesgericht jedoch nicht gesagt: „Sucht euch einfach einen anderen Grund für die Inhaftierung.“
Sondern vielmehr: „Eure Entscheidung beruht auf einer unvollständigen Analyse. Trefft eine neue Entscheidung, berücksichtigt diesmal aber sämtliche relevanten Umstände – insbesondere die Vorstrafen, die für die Prognose ausschlaggebend sind.“
@KJ
Die Wortwahl „ausnahmsweise“ geht wohl auf Art. 221 Abs. 1bis StPO zurück. Dort heißt es:
Was dieses „ausnahmsweise“ bedeutet, hat das Bundesgericht in BGE 143 IV 9 klargestellt. Zusammengefasst: „Ausnahme“ heisst, dass der Beschuldigte nicht unbedingt ein Wiederholungstäter sein muss – es genügt, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass er erneut delinquiert.
Die Rechtsprechung präzisiert drei Punkte:
Ernsthafte und unmittelbare Gefahr:
Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die beschuldigte Person erneut ein schweres Verbrechen gegen die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität begeht. Eine bloss entfernte Möglichkeit reicht nicht.
Besondere Gefährlichkeit:
Die Gefährlichkeit des Täters ergibt sich aus einer Gesamtbeurteilung. Entscheidend sind Persönlichkeit, Vorleben, Tatumstände und Verhalten nach der Tat.
Keine Vorstrafen erforderlich:
Anders als bei der „normalen“ Wiederholungsgefahr nach Abs. 1 lit. c – wo frühere gleichartige Delikte vorausgesetzt werden – kann Haft nach Abs. 1bis auch bei Ersttätern angeordnet werden. Genau darin liegt die Ausnahme: Die extreme Gefährlichkeit der Person ersetzt gewissermassen die durch Vorstrafen belegte kriminelle Neigung.
PS. Oups, habe nicht genau gelesen. Ja, das Obergericht hat „ausnahmsweise“ wohl ausnahmsweise als Ausnahme gemeint und nicht im Sinne von Art. 221 Abs. 1bis StPO, weil es wusste, dass es sich auf juristisch dünnem Eis bewegt. Es war der misslungene Versuch, eine Lücke in der eigenen Argumentation zu schliessen, was das Bundesgericht als Rechtsfehler erkannte und korrigierte.
Es geht darum das die Sta regelmässig 2. und 3. Chancen erhält, während der Beschuldigte Verwirkungsfristen unterliegt, sind solche mit wenigen Ausnahmen bei der StA inexistent. Ich hätte auch sagen können schon mal davon gehört dass das Gericht das Verfahren zurückweist zur Verbesserung der Verteidigung?