Fluchtgefahr nicht ohne konkrete Anhaltspunkte
Das Bundesgericht heisst die Haftbeschwerde einer Frau aus Serbien gut, gegen die seit 9 Jahren ermittelt wird wegen des Verdachts, ihre Tochter und ihren Ehemann umgebracht zu haben (BGer 1B_201/2009 vom 26.08.2009). Nach dem zweitinstanzlichen Schuldspruch wurde sie in Sicherheitshaft genommen. Sowas erhöht nach der Rechtsprechung normalerweise die Fluchtgefahr. Das Bundesgericht sieht das im vorliegenden Fall aber anders:
Im vorliegenden Fall sind allerdings die Besonderheiten des Strafverfahrens zu berücksichtigen. Es handelt sich um einen heiklen Indizienprozess. Das Landgericht erkannte die Beschwerdeführerin schuldig des Mordes an der Stieftochter, sprach sie dagegen frei vom Vorwurf der Tötung des Ehemannes. Das Obergericht kam zum umgekehrten Schluss: Es erkannte die Beschwerdeführerin schuldig der Tötung des Ehemannes und sprach sie frei vom Vorwurf des Mordes an der Stieftochter. Das obergerichtliche Urteil stellt also keine Bestätigung des landgerichtlichen Urteils dar. Es ist nach den Darlegungen in der vorliegenden Beschwerde davon auszugehen, dass gegen das obergerichtliche Urteil Beschwerde in Strafsachen erhoben wird und sich somit die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit der Sache zu befassen haben wird. Deren Urteil darf hier in keiner Weise präjudiziert werden. Aus der Sicht der Beschwerdeführerin ist aber anzunehmen, dass sie sich angesichts der „widersprüchlichen“ kantonalen Urteile Chancen ausrechnen wird, vor der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zu obsiegen und in der Folge vom Vorwurf der Tötung sowohl des Ehemannes als auch der Stieftochter freigesprochen zu werden. Dies spricht gegen Fluchtgefahr (E. 4.3.2).
Soweit ist sehe grosszügiger als sonst wertet das Bundesgericht die Indizien für oder gegen Fluchtgefahr:
Der Erklärung der Beschwerdeführerin anlässlich der Verhandlung vor dem Landgericht im März 2007, „sie pflege sehr gute Kontakte zu Bekannten und Verwandten in ihrem Heimatland“, kommt für sich allein, ohne weitere Präzisierung, im Hinblick auf die Frage der Fluchtgefahr und ohne Betrachtung der sozialen und familiären Verhältnisse in der Schweiz, nur ein sehr beschränkter Aussagewert zu. Zwar hat die Beschwerdeführerin in Serbien zwei Söhne aus erster Ehe (geb. 1974 und 1976) und einen Bruder. In der Schweiz hat sie jedoch – wie dargelegt – sechs Kinder. Diese sind deutlich jünger als die Söhne in Serbien. Die jüngsten in der Schweiz lebenden Kinder sind erst 14 und 15 Jahre alt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hat man zu jüngeren, namentlich noch nicht erwachsenen Kindern eine engere Beziehung als zu älteren. Das Landgericht legt in seinem Urteil (S. 92) denn auch dar, die Beschwerdeführerin pflege insbesondere zu zwei in der Schweiz lebenden Kindern einen recht engen Kontakt. Auch dies stellt ein Indiz gegen Fluchtgefahr dar (E. 4.3.4).
Erstaunlich ist schliesslich die Konsequenz, die das Bundesgericht zieht:
Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Das Verfahren ist dem Präsidium der Strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts zurückzuweisen, um die Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Sicherheitshaft anzuordnen und neu über die Anordnung sichernder Massnahmen zu befinden (E. 4.4).
Offenbar hat der Verteidiger in seiner Beschwerde keine Haftentlassung beantragt.