Fünf Bundesrichter für eine aussichtslose Beschwerde?
Einmal mehr weist das Bundesgericht eine als aussichtslos qualifizierte Beschwerde in Fünferbesetzung ab (BGer 6B_607/2024 vom 02.04.2025). Wenn ich das Gesetz nicht falsch lese, ist diese Kombination eigentlich nicht vorgesehen (vgl. Art. 20 und Art. 109 BGG). Es hat mir zwar mal jemand erklärt, wieso ich das Gesetz falsch verstehe, aber ich weiss nicht mehr, wo meine Fehlüberlegung liegt. Wer hilft mir auf die Sprünge?
Ob Dreier- oder Fünferbesetzung, ist mir eigentlich nicht so wichtig. Interessanter ist vorliegend der grundlegende Inhalt des Entscheids (vielleicht deshalb Fünferbesetzung?):
Vorläufig aufgenommene afghanische Staatsangehörige können sich nicht auf Art. 66d Abs. 1 StGB berufen und bei entsprechender Straffälligkeit durchaus – trotz gegenwärtig (noch) bestehender Vollzugsprobleme – des Landes verwiesen werden (was bislang nicht so klar war), wobei die Wegweisung notabene nicht schon direkt nach der Strafverbüssung (bzw. bei bedingten Strafen: sofort) muss vollzogen werden können. Vielmehr durfte die Vorinstanz – was m.E. neu ist – offen lassen, wann der Vollzug von Wegweisungen nach Afghanistan wieder möglich sein wird. Entscheidend soll die Erwägung sein, dass die Landesverweisung vollzogen werden kann, sobald dies wieder zumutbar ist. Das Bundesgericht hält es denn auch nicht für bundesrechtswidrig, dass das kantonale Gericht eine Verbesserung der Situation in Afghanistan für möglich hält, womit keine definitiv bestimmbaren Hindernisse für den Vollzug der Landesverweisung vorliegen. Diese richtige, weil dem Gesetz durchaus entsprechende Sichtweise des Bundesgerichts ist m.E. in dieser Klarheit neu und wäre eigentlich sogar eine amtliche Publikati0n in den BGE wert.
@Anonym: herzlichen Dank dafür. Das macht alles Sinn, aber eben: wieso soll die Beschwerde jetzt aussichtslos gewesen sein?
Bei der angeblichen Aussichtslosigkeit kann es sich eigentlich nur um ein redaktionelles Versehen handeln (wobei das Bundesgericht noch rasch einmal eine Beschwerde als aussichtslos bezeichnet, auch wenn der materielle Entscheid sich über viele Seiten erstreckt, auf welchen Argumente und Gegenargumente abgewogen werden…; viele Anwälte könnten davon ein Liedchen singen). Die Praxis zur vorliegenden Rechtsfrage – auch die kantonale – war jedenfalls bis anhin uneinheitlich, wenn nicht sogar abweichend.
Hier ein Versuch, in Ergänzung zu @Anonym, den scheinbaren Widerspruch aufzulösen:
1. Aussichtslos ist das Ergebnis der Prüfung, nicht die Prämisse:
Eine Beschwerde wird nicht a priori als aussichtslos abgestempelt und dann nicht mehr angeschaut. Vielmehr hat das Gericht die Pflicht, sich mit der eingereichten Beschwerde auseinanderzusetzen. Erst nach dieser Prüfung kommt es zum Schluss, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Qualifikation als aussichtslos ist also das Resultat der rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Fall.
2. Abgrenzung: Offensichtlich unbegründet vs. aussichtslos nach Prüfung:
Es gibt Fälle, die offensichtlich (auf den ersten Blick) unbegründet oder unzulässig sind. Diese können sehr schnell in der Dreierbesetzung erledigt werden (Art. 109 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a BGG).
Dann gibt es Fälle, die zwar nicht sofort als offensichtlich unbegründet erscheinen, sich aber nach sorgfältiger Prüfung als aussichtslos erweisen. Die Argumente des Beschwerdeführers halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand, auch wenn sie vielleicht auf den ersten Blick plausibel klangen oder eine gewisse Komplexität aufwiesen.
3. Warum Fünferbesetzung bei späterer Aussichtslosigkeit?
3.1 Klarstellung von Rechtsfragen: Wie bereits angesprochen, kann auch ein Fall, der für den Beschwerdeführer aussichtslos endet, Rechtsfragen beinhalten, die das Gericht in der Fünferbesetzung klarstellen oder insb. präzisieren möchte (wie im vorliegenden Fall die Landesverweisung und das Non-Refoulement-Prinzip im Kontext Afghanistans). Die Aussichtslosigkeit bezieht sich dann auf die konkreten Anträge des Beschwerdeführers im Lichte der (allenfalls im Urteil entwickelten oder vielmehr bestätigten) Rechtslage.
3.2 Antrag eines Richters nach Art. 20 Abs. 2 BGG: Ein Richter könnte eine breitere Diskussion für notwendig erachtet haben, auch wenn sich am Ende herausstellt, dass die Beschwerde keine Chance hat.
4. Im Kern:
Art. 20 BGG regelt die Besetzung (in der Regel drei, ausnahmsweise fünf), trifft aber keine spezifische Aussage zur Besetzung für den Fall, dass eine Beschwerde als aussichtslos qualifiziert wird.
Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG wiederum bezieht sich explizit auf die einstimmige Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden in Dreierbesetzung. Offensichtlich unbegründet ist dabei nicht mit aussichtslos gleichzusetzen.
Somit spricht gemäss BGG per se nichts gegen eine (ausnahmsweise) Fünferbesetzung bei einer als im Endergebnis aussichtslos qualifizierten Beschwerde, auch wenn es durchaus übermässig erscheinen mag.
@Rob: Im konkreten Fall spricht doch aber eigentlich absolut gar nichts für Aussichtslosigkeit.
@KJ
Wieso soll die Beschwerde jetzt aussichtslos gewesen sein?
Die Beschwerde wurde als aussichtslos eingestuft, weil die Argumente des Beschwerdeführers die rechtlichen Anforderungen für eine Aufhebung der Landesverweisung (Streitgegenstand, Antrag 2) nicht erfüllten. Insbesondere konnte er kein definitives Vollzugshindernis nachweisen (Aussicht 1) und das öffentliche Interesse an der Landesverweisung überwog angesichts der Schwere seiner Delikte.
Lange Erklärung:
1. Das Bundesgericht sah kein _definitives_ Vollzugshindernis für die Landesverweisung nach Afghanistan, da die aktuelle Aussetzung von Wegweisungen nicht als _dauerhaft_ unumstösslich bewertet wurde und der Beschwerdeführer keine individuelle (!) Gefährdung gemäss Art. 3 EMRK glaubhaft machen konnte (Erwägungen 2.1.4, 2.1.5).
2. Das öffentliche Interesse an der Landesverweisung wurde aufgrund der Schwere der Delikte des Beschwerdeführers (u.a. versuchte schwere Körperverletzung) bejaht, wobei seine Gegenargumente, die auf einer definitiven Nichtvollziehbarkeit fussten, zurückgewiesen wurden (Erwägung 2.2.2). Dass ein öffentliches Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers besteht, liegt auf der Hand.
3. Die Voraussetzungen für die Härtefallregelung gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB wurden von der Vorinstanz als nicht erfüllt erachtet, eine Einschätzung, die mangels erfolgreicher anderer Rügen des Beschwerdeführers relevant blieb (Erwägungen 1.2.1, 1.2.2).
@KJ: Ich gebe Ihnen Recht – zunächst bestanden auch meinerseits gewisse Zweifel. Offenbar wollte ebenfalls das BGer den Fall genauer prüfen und klarstellen, worauf die Fünferbesetzung hindeutet. Auffällig ist zudem, dass das Gericht auf die sonst häufig verwendete Formulierung „von vornherein aussichtslos“ verzichtet und lediglich von „Aussichtslosigkeit“ spricht.
Zum Begriff der Aussichtslosigkeit nach ständiger Rechtsprechung: Der zentrale Rechtsgrundsatz findet sich in Art. 64 Abs. 1 BGG. Einer Partei wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, wenn sie bedürftig ist und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Ein Prozess gilt als aussichtslos, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahr.
Oben habe ich versucht, die allgemeine Systematik im Umgang mit der Aussichtslosigkeit im bundesgerichtlichen Verfahren darzulegen. Es folgt eine summarische materielle Einschätzung:
1. Grundvoraussetzungen der obligatorischen Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 StGB):
Der Beschuldigte ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde wegen (versuchter) schwerer Körperverletzung und Angriffs schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 38 Monaten sanktioniert. Damit sind die Grundvoraussetzungen für eine obligatorische Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB im Sinne einer Katalogtat „doppelt erfüllt“.
2. Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB)
Rechtliche Grundlagen der Härtefallklausel:
Von einer Landesverweisung kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn diese für den Ausländer kumulativ
(I.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und
(II.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen.
Die Härtefallklausel dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips und ist restriktiv anzuwenden. Zu berücksichtigende Kriterien sind namentlich:
Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration.
Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Respektierung der Werte der Bundesverfassung, Sprachkompetenzen, Teilnahme am Wirtschaftsleben oder Bildungserwerb.
Familiäre Bindungen in der Schweiz bzw. im Heimatland.
Aufenthaltsdauer, Gesundheitszustand und Resozialisierungschancen.
Ein schwerer persönlicher Härtefall ist bei einem Eingriff von gewisser Tragweite in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anzunehmen.
3. Würdigung durch das BGE der vorinstanzlichen Feststellungen zum Härtefall:
– Nicht in der Schweiz geboren, Einreise 2015 mit Familie, Asylgesuch (kein Flüchtlingsstatus, bloss vorläufig aufgenommen).
– Wuchs in einer Familie (Mutter, Stiefvater, Halbgeschwister) in der Schweiz auf, ist nun aber als junger Erwachsener nicht mehr auf elterliche Fürsorge angewiesen.
– Keine eigene Kernfamilie (unverheiratet, keine Kinder).
– Keine Angaben zu Verwandten in Afghanistan gemacht, aber Indizien für deren Existenz.
– Sehr gute Schweizerdeutschkenntnisse; spricht auch Usbekisch mit der Familie.
– Die Vorinstanz verneinte eine erfolgreiche Integration. Zwar Schulbesuch (ab der 5. Klasse), aber kein Engagement für Lehrstelle oder wirtschaftliche Selbstständigkeit.
– Erst im Jugendheim Schnupperlehren. Eine kürzlich angebotene Lehrstelle als Coiffeur wertete die Vorinstanz nicht als erfolgreiche Integration, da der Abschluss äusserst ungewiss sei.
Schlussfolgerung der Vorinstanz: Weder in der Schweiz noch in Afghanistan integriert. Die Landesverweisung bedeute zwar eine „beträchtliche Härte“, aber keinen schweren persönlichen Härtefall im Sinne des Gesetzes.
Da die Vorinstanz einen schweren persönlichen Härtefall verneinte, verzichtete sie folgerichtig auf die zweite Stufe der Härtefallprüfung (Abwägung der öffentlichen Interessen an der Landesverweisung vs. den privaten Interessen des Beschuldigten am Verbleib).
Die Vorinstanz merkte (obiter dictum) an, dass das öffentliche Interesse an der Landesverweisung angesichts der jahrelangen Delinquenz ohnehin überwiegen würde. Das BGer sah keinen Anlass, von dieser Einschätzung der Vorinstanz abzuweichen.
Zur „Zweijahresregel“ (E. 1.1.4): Obwohl nicht explizit im Ablehnungsteil des BGE für diesen Fall diskutiert (da bereits der schwere Härtefall verneint wurde), war diese Regel im Hinterkopf der Argumentation des BGer von gewisser Relevanz. Bei einer Freiheitsstrafe von 38 Monaten (also über 2 Jahre) wären ohnehin ausserordentliche Umstände nötig gewesen, um die privaten Interessen über die öffentlichen zu stellen, selbst wenn ein Härtefall bejaht worden wäre.
4. Einwände des Beschuldigten – Non-Refoulement (Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 EMRK)
Das BGer prüfte ebenfalls die Einwände des Beschuldigten, insb. das Non-Refoulement. Die vom SEM ausgesetzten Wegweisungen nach Afghanistan machten gemäss dem Beschuldigten den Vollzug der Landesverweisung dauerhaft unmöglich (Machtergreifung der Taliban 2021).
Das BGer stützte jedoch die Einschätzung der Vorinstanz:
Die aktuelle Aussetzung der Wegweisungen nach Afghanistan stellt kein definitives Vollzugshindernis dar. Entscheidend ist, dass die Landesverweisung vollzogen werden kann, sobald dies wieder zumutbar ist. Die Lage in Afghanistan ist nicht als unabänderlich einzustufen, weshalb kein zum Zeitpunkt des Urteils definitiv bestimmbares Hindernis für die Anordnung der Landesverweisung vorliegt. Nur ein solches definitives Hindernis würde die Anordnung verhindern.
Eine konkrete, individuelle Gefährdung in Afghanistan (z.B. wegen angeblicher „Verwestlichung“) hatte der Beschuldigte zudem nicht ausreichend substantiiert.
5. Fazit
Möglicherweise entgeht mir etwas; doch erkenne ich kaum Anknüpfungspunkte, die gegen die Annahme der Aussichtslosigkeit sprechen würden. Gemessen an seiner Einreise im Jahr 2015 (vermutlich als ca. 11-jähriger) und dem kantonalen Entscheid aus dem Jahr 2023 hielt er sich während eines Zeitraums von acht Jahren in der Schweiz auf. Der Beschuldigte dürfte zwar i.S.v. Art. 66a Abs. 2 Satz 2 StGB als «hier aufgewachsen» gelten, da er die prägende Jugendzeit in der Schweiz verbracht hat und damit auch gut Schweizerdeutsch spricht. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände scheint dieser Aspekt jedoch nur von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein. Auch hatte die Vorinstanz die wesentlichen Elemente eindeutig erkannt und ihre Erwägungen hinreichend begründet, was die Erfolgsaussichten einer Beschwerde deutlich schmälerte.
Das öffentliche Interesse an der Fernhaltung des Beschuldigten liegt auf der Hand, angesichts seiner Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung, mehrfachen Angriffs und mehrfachen Raufhandels und der Tatsache, dass er auch ihm unbekannte Personen angriff.
Der eigentliche Kern des Problems liegt jedoch anderswo: In der Verknüpfung der bereits „einfachen“ (statt „offenkundigen, praktisch unvertretbaren“) Aussichtslosigkeit mit der Entschädigung des amtlichen Verteidigers i.S.v. Art. 64 Abs. 1 BGG. Eine Beschwerde, die nach den strengen Kriterien des BGer als aussichtslos erscheint, ist das nicht zwingend auch vor dem EGMR. Gleichwohl führt bekanntlich kein Weg am BGer vorbei – und dieser ist ohne qualifizierten Rechtsbeistand, den es angemessen zu entschädigen gilt, kaum zu beschreiten.
Wie kann den etwas aussichtlos bezeichnet werden wenn ein Gericht darüber zuerst beraten muss? Das sind ja nicht irgendwelche Tölpel, ohne juristische Kenntnisse das sind die höchsten Richter eines Landes mit Jahrelanger Erfahrung.
Aussichtslos heisst von Anfang and ohne Aussicht auf Erfolg, wenn ein Gericht darüber beraten muss gibt es ja selbst zu das die Aussicht auf Erfolg (oder Misserfolg) eben nicht von Anfang and Bestand sondern sich erst durch das Urteil (und die dazugehörige Beratung) klären liess in diesen Fällen wäre abzuweisen und Entschädigung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Aussichtslosigkeit sollte sich Präsidalentscheide stützen können und weder 3 noch 5 Besetzung benötigen.
@John: Ihr Einwand, wie etwas als aussichtslos bezeichnet werden kann, wenn ein Gericht – zumal das höchste des Landes in der Dreier- oder gar Fünferbesetzung – erst darüber beraten muss, ist auf den ersten Blick durchaus berechtigt.
In der Praxis, wie Sie wissen, beurteilt und entscheidet das BGer die unentgeltliche Rechtspflege (und damit die Aussichtslosigkeit) oft aus prozessökonomischen Gründen zusammen mit dem Sachentscheid. Problematisch ist dabei sicher die Gefahr des Rückblicks („Hindsight Bias“). Was heisst das? Im Nachhinein ist man stets klüger. Das Gericht prüft den Fall in aller Tiefe, weist die Beschwerde ab und entscheidet dann ex post (nachträglich) über die ursprünglichen Erfolgsaussichten. Ein solches voreingenommenes Vorgehen ist/wäre in der Tat problematisch.
Insofern ist es von besonderer Wichtigkeit, dass das BGer bei der Frage der Aussichtslosigkeit ex ante urteilt. Es muss sich also gedanklich in den Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs zurückversetzen und fragen: „Wie waren die Chancen bei Einreichung zu beurteilen?“. Dieses mentale Zurücktreten, um die Situation ohne Kenntnis des späteren Ergebnisses zu bewerten, dürfte in der Tat nicht immer einwandfrei gelingen.
Man kann also durchaus argumentieren, dass es im Sinne der antragstellenden Partei ist (meistens der Beschuldigte), wenn drei oder ausnahmsweise gar fünf Richter die Rechtsbegehren und die Begründung ausführlich prüfen und nicht schon wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit gar nicht erst auf die Beschwerde eintreten. Dies vermittelt zumindest den Eindruck, dass der Fall ernst genommen wurde und es erfüllt die richterliche Begründungspflicht.
Nach dem Gesagten sind demnach die ausführliche Auseinandersetzung und die genaue rechtliche Einordnung aus meiner Sicht korrekt und sogar wünschenswert. Für die Beurteilung der Aussichtslosigkeit muss diese Prüfung aber zwingend unter einer ex-ante-Perspektive erfolgen. Das gilt umso mehr, wenn die Beschwerde (wie in den meisten BGE) als von vornherein aussichtslos angesehen wurde. Der spätere negative Ausgang allein macht eine Beschwerde nicht rückwirkend aussichtslos.
Vielleicht wegen Art. 109 Abs. 2 e contrario? Wenn die Dreierbesetzung nicht einstimmig die Beschwerde als offensichtlich unbegründet qualifiziert, entscheidet das Fünfergremium.
@Michael Marti
Wenn beim Dreierspruchkörper Uneinstimmigkeit herrscht, dann kann die Beschwerde doch per Definition nicht aussichtslos sein.
@Knasti: Dem würde ich absolut zustimmen. Die Gerichte sehen das aber offenbar anders. Ich hatte einen Fall, bei dem im ablehnenden Beschwerdeentscheid eine abweichende Mindermeinung des Gerichts abgedruckt wurde (d.h. mindestens ein Richter ist meiner rechtlichen Argumentation gefolgt), dennoch wurde ich zufolge Aussichtslosigkeit nicht entschädigt.
Es kann auch sein, dass zwar beim Dispositiv Einstimmigkeit herrscht, aber nicht in den Erwägungen. Von dem her ist es möglich, dass trotzdem ex ante Aussichtslosigkeit angenommen wird. Dann kommt es trotzdem zu einem Fünfer-Entscheid. Dann will der Spruchkörper dem Entscheid bzw. dessen Begründung besondere Relevanz zukommen lassen.