Nochmals zum Konfrontationsanspruch
Das Bundesgericht fasst in einem heute publizierten Entscheid nochmals die Rechtsprechung zum Konfrontationsanspruch zusammen (BGer 7B_1347/2024 vom 16.07.2025):
Damit die Verteidigungsrechte gewahrt sind, muss die beschuldigte Person namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe stellen zu können (BGE 133 I 33 E. 3.1; 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E. 4.2; je mit Hinweisen). Dies setzt in aller Regel voraus, dass sich die einvernommene Person in Anwesenheit der beschuldigten Person (nochmals) zur Sache äussert (BGE 150 IV 345 E. 1.6.3.2; Urteil 6B_1067/2023 vom 2. April 2025 E. 3.1.2; je mit Hinweisen). Beschränkt sich die Einvernahme im Wesentlichen auf eine formale Bestätigung der früheren Aussagen, wird es dem Beschuldigten verunmöglicht, seine Verteidigungsrechte wirksam wahrzunehmen (BGE 150 IV 345 E. 1.6.3.2 mit Hinweisen). Gleiches gilt, wenn eine (Auskunfts-) Person in einer späteren Konfrontationseinvernahme von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. Urteil des EGMR Vidgen gegen die Niederlande vom 10. Juli 2012 [Nr. 29353/06] § 47; Urteil 6B_1067/2023 vom 2. April 2025 E. 3.1.2 und E. 3.4 mit Hinweisen).
Das Recht auf wirksame Konfrontation ist hingegen eingehalten, wenn sich die Person auf die Befragung einlässt und sich in Anwesenheit des Beschuldigten erneut frei und unbeeinflusst zur Sache äussert (vgl. Urteile 6B_14/2021 vom 28. Juli 2021 E. 1.3.4; 6B_839/2013 vom 28. Oktober 2014 E. 1.4.2; je mit Hinweisen). Dabei ist keineswegs erforderlich, dass die befragte Person ihre Angaben wortwörtlich wiederholt. Macht sie Angaben zur Sache, so darf im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch auf die Ergebnisse der früheren Beweiserhebung ergänzend zurückgegriffen werden (Urteile 6B_1253/2022 vom 26. April 2023 E. 3.1; 6B_1003/2020 vom 21. April 2021 E. 2.2; je mit Hinweisen). Denn die Frage, ob bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann, betrifft nicht die Verwertbarkeit, sondern die Würdigung der Beweise (BGE 150 IV 345 E. 1.6.7.2 mit Hinweisen) [E. 2.3.3, Hervorhebungen durch mich].
Die hervorgehobenen Erwägungen sind unhaltbar und führen zudem zu kaum überzeugend lösbaren Problemen. Sie basieren auf den teilweise durch BGE 150 IV 345 überholten BGer 6B_1280/2022 vom 04.05.2023 E. 1.1.2; 6B_1253/2022 vom 26.04.2023 E. 3.1; 6B_1454/2022 vom 20.03.2023 E. 2.4.1; 6B_1078/2022 vom 25.01.2023 E. 2.1; 6B_986/2022 vom 24.11.2022 E. 1.1; 6B_1133/2019 vom 18.12.2019 E. 1.3.1 und 1.4.3; 6B_542/2016 vom 05.05.2017 E. 2.4; 6B_839/2013 vom 28.10.2014 E. 1.4.2 und 6B_369/2013 vom 31. 10.2013 E. 2.3.3).
Bei der polizeilichen Einvernahme vom 13. Oktober 2020 („Ersteinvernahme“) wurde das Teilnahmerecht des Beschuldigten nicht verletzt, da gegen ihn noch kein Verfahren lief. Ich nehme an @KJ, das sehen Sie gleich.
Das heisst, diese Ersteinvernahme ist relativ verwertbar. Entscheidend ist daher einzig, ob der Konfrontationsanspruch in der späteren, parteiöffentlichen Einvernahme („Ergänzungseinvernahme“) gewahrt wurde. Das ist im Wesentlichen dann der Fall, wenn sich die aussagende Person (meistens ein Zeuge) in der Ergänzungseinvernahme hinreichend und frei zur Sache äussert. Damit wird der Konfrontationsanspruch nicht nur formal sondern auch in der Sache gewahrt.
Der Beschuldigte selbst rügte ja in E. 2.1 nicht die Unverwertbarkeit der gesamten Ersteinvernahme, sondern nur eine spezifische Passage daraus (bezüglich vagen Angaben, wo und wie oft er Fahrräder an der Garage deponiert habe).
Der Grundsatz, dass bei widersprüchlichen Aussagen oder späteren Erinnerungslücken auf die ersten, in Abwesenheit des Beschuldigten erfolgten Aussagen abgestellt werden kann und dies nicht die Verwertbarkeit, sondern die Würdigung der Beweise betrifft, findet auf breiter Front in kantonalen und höchstrichterlichen Entscheiden Anwendung.
Mir erschliesst sich daher nicht, weshalb dieser Grundsatz falsch sein sollte. Die materielle Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer ganz bestimmten Aussage ist schliesslich Aufgabe des Sachgerichts, das über volle Kognition verfügt, die Parteien direkt anhört, Realkennzeichen sowie Widersprüche wohl am besten erkennen und bewerten kann. Dazu wäre das BGer bekanntlich kaum in der Lage.
Wer sich kompakt und praxisnah zum «Teilnahmerecht bei Einvernahmen» informieren will, dem lege ich Folge #717 von «Auf dem Weg als Anwält:in» ans Herz. Die Episode stützt sich auf Marc Jean-Richard-dit-Bressels grundlegende Analyse (ZStrR 1/2025, S. 49–85).
@Rob: ich halte das alles für wenig überzeugend. Dass ich kein Teilnahmerecht habe, wenn gegen mich noch nicht eröffnet ist (auch nicht materiell), ist schon klar. Dass ich im pol Ermittlungsverfahren auch keine habe, ist nach der Rechtsprechung auch klar (aber zumindest diskussionswürdig). Konfrontation ist aber etwas anderes. Was mir an einer Einvernahme vorgeworfen wird, an der ich nicht anwesend war, darf nach meinem Verständnis nie verwertet werden. Ich weiss, dass das nicht auf Linie ist. Die Rechtsprechung vermischt aber Verwertbarkeits- und Würdigungsfragen, was zu unlösbaren Problemen führt, die notabene immer zum Nachteil des Beschuldigten ausfallen.
@Rob
Das ist ja was KJ kritisiert; oder verstehe ich das falsch? Er kritisiert, dass das (moderne) Leiturteil BGE 150 IV 345 deiner beschriebenen (veralteten) Praxis (Flucht in die Beweiswürdigung) einen Riegel schieben sollte und das BGer jetzt plötzlich sein eigenes Leiturteil ignoriert.
Zusammengefasst (versimpelt):
1. (Ob Beschuldigter vorhanden, oder Verfahren eingeleitet spielt hier keine Rolle) Auskunftsperson/Zeuge macht eine Aussage und wiederholt diese später nicht.
2. Beschuldigter konnte diese Aussagen nicht konfrontieren (warum spielt auch keine Rolle z.B. war noch kein Verfahren vorhanden; ergo kein Beschuldigter; ergo keine Teilnahmerechte).
Genau das hat das BGer in BGE 150 IV 345 behandelt und festgehalten, dass solche Beweise „absolut und unheilbar unverwertbar“ sind, jetzt plötzlich sagen sie „ah es wurde doch geheilt“…
Wenn ich BGE 150 IV 345 richtig verstehe, hätte man die erste Einvernahme als nichtexistend behandeln müssen (also Einvernahme komplett wiederholen und nur diese Aussagen bearbeiten).
@Laie
Gemäss BGE 150 IV 345 kann das Teilnahmerecht eingeschränkt werden (siehe E. 1.6.3.1 mit Hinweisen auf: Art. 108, Art. 146 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO; siehe auch Art. 101 Abs. 1 StPO; BGE 143 IV 397 E. 3.3.1; BGE 141 IV 220 E. 4.4; BGE 139 IV 25 E. 4.2 mit Hinweis). In BGE 150 IV 345 lag aber kein Einschränkungsgrund vor, weshalb die delegierten polizeilichen und die staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen als unverwertbar erklärt wurden. D.h. bereits im Zeitpunkt der Beweiserhebung war diese nicht verwertbar und dies kann nicht durch nachträgliche Konfrontation noch geheilt werden.
Im vorliegenden Fall wurde die Teilnahme des Beschuldigten demgegenüber nicht gewährt aus Gründen, die gesetzlich erlaubt sind (pol. Ermittlungsverfahren oder einer der obenstehenden Gründe), entsprechend wurde die Beweiserhebung gem. StPO korrekt vorgenommen. Eine effektive Verletzung von Art. 147 StPO liegt nicht vor. Die Beweiserhebung wurde nicht wiederholt, um einen prozesuallen „Mangel“ zu heilen, sondern um dem Beschuldigten nachträglich die Möglichkeit zu geben, das Zeugnis auf die Probe zu stellen.
Entsprechend ist bei beiden Entscheiden die Ausgangslage nicht identisch.
@KJ: Ich stimme Ihnen zu – auch das BGer sieht das nicht anders -, dass Aussagen aus einer polizeilichen, nicht parteiöffentlichen Ersteinvernahme unverwertbar sind, wenn die einvernommene Person in der späteren, parteiöffentlichen Ergänzungseinvernahme die Aussage verweigert oder sich nicht zur Sache äussert.
Im vorliegenden Fall hat sich C. (offenbar ein Mittäter) jedoch zur Sache geäussert, wenn auch nur vage. Eine solche Konstellation führt zwangsläufig zu einer Vermischung der Fragen nach der Verwertbarkeit einerseits und der Beweiswürdigung andererseits.
Wie konkret muss eine Aussage sein, um die Schwelle zur Verwertbarkeit zu überschreiten und nicht mehr als absolut unverwertbar zu gelten?
Eine vage Aussage pauschal auszuscheiden, wäre prozessual bedenklich. Sinnvoller ist es, sie der freien richterlichen Würdigung zu überlassen. Kommt das Gericht zum Schluss, dass der Aussage materiell jede Beweiskraft fehlt, ist das Ergebnis praktisch identisch mit einer formellen Unverwertbarkeit – der prozessuale Weg dorthin ist jedoch der korrektere. Er wird überdies auch dem Anspruch der Geschädigten – wo solche im Verfahren vertreten sind – auf eine umfassende Beweiswürdigung gerecht.
Das Bundesgericht fasst hier die Rechtsprechung zum Konfrontationsanspruch im Sinne des Mindeststandards nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zusammen, während es sich in BGE 150 IV 345 mit dem über diesen Mindeststandard hinausgehenden Teilnahmerecht nach Art. 147 StPO zu befassen hatte. Dass in E. 2.3.3 eben dieser BGE 150 IV 345, E. 1.6.7.2 zitiert wird, erscheint zwar etwas unglücklich: In jener Erwägung wird nämlich auf die frühere Rechtsprechung des BGer hingewiesen, auf welche gemäss anschliessender E. 1.6.7.3 „zurückzukommen“ sei. Weshalb dies geradezu unhaltbar sein soll, erschliesst sich mir jedoch nicht. Im vorliegenden Fall ging es eben nicht um die Verletzung des Teilnahmerechts nach StPO, sondern „nur“ um den Konfrontationsanspruch nach EMRK (so offenbar auch die Rüge des Beschwerdeführers, vgl. E. 2.1).