StPO-Quiz zur Verwertbarkeit
Ein aktueller Bundesgerichtsentscheid veranlasst mich zur Veranstaltung eines kleinen StPO-Quiz. Der als verbindlich anerkannte Sachverhalt lautet wie folgt:
Gemäss dem von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt wurde die Kantonspolizei Obwalden am Abend des 20. September 2018 über mögliche Suizidabsichten des Beschwerdeführers informiert. Sie begab sich zur Krisenintervention zum Wohnort des Ehepaars, welches sich kurz zuvor getrennt hatte. Die Ehefrau war am fraglichen Abend mit dem Umzug in eine neue Wohnung beschäftigt. Vor Ort traf die Kantonspolizei auf die Schwester des Beschwerdeführers, später auch auf die Ehefrau. Auf Ersuchen der Kantonspolizei rief die Schwester des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer an, welcher nach mehreren Versuchen den Anruf entgegennahm. Während des für die Polizei akustisch nicht wahrnehmbaren Telefonats verlangte die Schwester nach Notizpapier. Darauf notierte sie: „Ist die Polizei bei dem anderen? Er will ihn umbringen.“ Der diensthabende Polizist schrieb darunter „unterwegs“, worauf die Schwester – immer noch während des Telefonats – notierte „Er sagt, es sei in 10′ alles vorbei.“ Im Anschluss an das Telefonat erklärte die Schwester auf Frage des Kantonspolizisten, der Beschwerdeführer habe gesagt, er werde den Freund seiner Ehefrau, seine Ehefrau, seine Kinder und danach sich selbst umbringen. Diese Aussagen tätigte sie ohne Rechtsbelehrung.
Angefochten war die vorinstanzliche Verurteilung wegen versuchter Drohung. Sind die von der Schwester getätigten, den Beschwerdeführer belastenden Aussagen, er habe ihr am Telefon gesagt, er werde den neuen Partner seiner Ehefrau, seine Ehefrau, eventuell seine Kinder und anschliessend sich selbst töten, verwertbar?
Die m.E. unrichtige Lösung des Bundesgerichts finden Sie hier: BGer 7B_1054/2023 vom 08.05.2025.
Der vorliegende BGE beruht auf einer Beweiskette, die für eine strafrechtliche Verurteilung zu fragil erscheint:
Entscheidende „Schwelle“ missachtet: Die Argumentation des BGer, die Polizei habe rein präventiv gehandelt, ist nicht überzeugend. Spätestens mit der schriftlichen Notiz der Schwester „Er will ihn umbringen“ war die entscheidende „Schwelle“ von einer unklaren Gefahrenlage hin zu einem Anfangsverdacht einer Straftat (Drohung gem. Art. 180 StGB) erreicht. Ab diesem Moment hätten die Bestimmungen der StPO greifen und eine Belehrung als Auskunftsperson (u.a. Aussageverweigerungsrecht) stattfinden müssen. E. 2.3.1 des hier behandelten BGE verweist auf BGE 143 IV 27 E. 2.5 – Auszug: „Das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der StPO ist der strafprozessuale Anfangsverdacht (vgl. Urteil 6B_1143/2015 vom 6. Juni 2016 E. 1.3.1 mit Hinweis).“ Ein Anfangsverdacht lag in casu mit der Drohung eindeutig vor.
Instrumentalisierung der“ Zeugin“: Die Schwester war keine neutrale Person, die eine Spontanäusserung machte. Sie wurde von der Polizei – wenn auch in bester Absicht – aktiv als „verlängerter Arm“ eingesetzt, um Informationen zu beschaffen. Dies verleiht ihrer anschliessenden Aussage ein anderes Gewicht und verstärkt die Notwendigkeit prozessualer Schutzmassnahmen.
Beweise vom Hörensagen sind keine unabhängige Stütze: Die Verurteilung stützt sich im Kern auf eine einzige Quelle. Der Polizeirapport und die darauf gestützten Aussagen der Polizisten sind keine unabhängigen Beweismittel für die Drohung selbst. Sie beweisen lediglich die Tatsache, dass die Schwester eine bestimmte Aussage gemacht hat, nicht aber, ob deren Inhalt zutrifft. Es handelt sich um ein klassisches Zeugnis vom Hörensagen mit nicht selten jeweils geringerer Beweiskraft.
Einzige Beweisquelle war nicht überprüfbar: Die Schwester ist und bleibt die einzige unmittelbare Belastungszeugin. Da sie sich später auf ihr Aussageverweigerungsrecht berief, konnte der Inhalt ihrer ursprünglichen, entscheidenden Aussage nie z. Bsp. in einer parteiöffentlichen Einvernahme überprüft und ihr Beweiswert hinterfragt werden. Der Beschuldigte konnte sein Teilnahmerecht nicht ausüben.
Um dennoch eine Lanze für die Polizei zu brechen: Es erscheint in einer solch akuten Situation realitätsfern, eine umfassende Belehrung durchzuführen. Dass die Polizei angesichts der unmittelbaren (potenziellen) Gefährdung – sei es bewusst oder unbewusst – darauf verzichtet hat, ist daher nachvollziehbar. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die so gewonnene Aussage trotzdem kaum verwertbar ist. Aus gutem Grund werden Personen mit sachdienlichen Informationen in der Regel jeweils im Nachgang zu einer Einvernahme vorgeladen und belehrt.
Ich vermute, dem zuständigen GS ist bei der Begründung des Urteils ein Fehler unterlaufen. Richtigerweise sagte der Beschwerdeführer der Schwester , er werde zuerst sich selbst und hernach den Freund seiner Ehefrau, seine Ehefrau danach seine Kinder umbringen.
Dieser Tatplan erscheint mir – prima vista – nicht wirklich zu Ende gedacht und stellt m.E. die Frage nach der Strafbarkeit besagter Mitteilung an die Schwester ernsthaft in Frage.
Das Bundesgericht missachtet den Vorrang des Bundesrechts:
Sie stützt die Zulässigkeit der formlosen Befragung durch Polizeibeamte auf ein kantonales Gesetz (Art. 14 Abs. 1 PolG/OW), was dem Beweisverwertungsverbot der StPO widerspricht (Art. 177 Abs. 3) und auch „nemo-tenetur“ verletzt (folgt aus der Unschuldsvermutung, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziffer 2 EMRK).
Im Konfliktfall hat das Bundesrecht, also die StPO, BV und EMRK, immer Vorrang vor kantonalem Recht.
Das ist die Lösung.
Noremhirarchie wird überschätzt, im BtmG steht Cannabis (Hanfkraut) ist verboten, daraus macht die Exekutive dann THC im
Anhang 4 des BtmG auf Verordnungstufe. Cannabis hat weit über 100 Canbinoide, viele davon unerforscht. Das THC für den (oder zu mindest eines Teiles) des Rausches veranwortlich ist, ist bekannt, welche Cannabinoide aber zB für die Psychosen verantwortlich sind weiss kein Mensch. Willkür und Inkompetenz finden wir in unserem Recht mehr als Gedacht, die Normenhirchachie ist bedeutungslos, sonst müssten Gesetze die der Verfassung wiedersprechen gekippt werden….
Fast richtig. Im Anhang ist es nicht THC, sondern Delta-9-THC. Umgangssprachlich sagt jeder dazu einfach THC.
Delta-8-THC ist nicht erfasst. Verkaufen (zum Konsum!) darfst du es trotzdem nicht, da es ein „Neuartiges Lebensmittel“ darstellt* und für diese eine Zulassung für den Lebensmittelkonsum benötigt wird, die sowieso niemand für D8-THC erhalten würde.
Und ja, das gleiche gilt auch für CBD… hat auch keine Zulassung (zumindest das letzte mal, als ich geguckt habe) und wird trotzdem zum Konsum verkauft…
* D9-THC ist in Lebensmitteln zugelassen, solange bis zu 1%; Siehe Kontaminationsgesetz. Einfach pures THC mit Lebensmitteln mixen geht leider nicht z.B. 100 gramm Keks mit ~150mg THC wäre an sich legal, aber die Herstellung nicht… Der Trick wäre das THC im Endprodukt „gären“ zu lassen z.B. kann man das mit Alkohol 😉 CBD + Säure (z.B. Zitronensäure oder noch beseser Salzsäure) + Lösungsmittel (z.B. Alkohol) und et voila das CBD wird im Endprodukt zu THC – alles unter 1% natürlich und sowohl Endprodukt als auch Herstellung wären komplett legal. Auch verkaufen dürfest du das 😉
Another fun fact: Lustig ist, dass D8-THC nicht im Anhang erfasst ist, aber dafür D8-THCP sowie D9-THCP; vermutlich, weil einige Shops eine Zeit lang diese verkauft haben.
Schöne Grüsse an das Obergericht – von der Creme de la Creme im Drohenhandelbusiness.
Erster Blick
Art. 14 Abs. 1 des Polizeigesetzes des Kantons Obwalden (PolG/OW) besagt, dass die Polizei eine Person ohne die Beachtung besonderer Formvorschriften befragen kann, wenn dies für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist.
Zu dem Zeitpunkt gab es kein Verfahren > keine Einvernahme > keine Belehrungspflicht. Diese Situation hat erst ein Verfahren eröffnet.
Zweiter Blick. Genauer auf Zweck von Art. 14 Abs. 2 PolG/OW achten
Aber wenn man Art. 14 Abs. 2 PolG/OW ‚Sobald ein konkreter Verdacht auf eine strafbare Handlung besteht, gelten für die Befragung die Bestimmungen der Strafprozessordnung‘ GENAUER anguckt, dann eigentlich nicht.
Im Ersten Blick scheint Art. 14 Abs. 2 PolG/OW lediglich zu sagen „dann gilt StPO“ (und es gibt ja kein Verfahren…), aber wenn man sich die Protokolle durchliest*, wieso das dieser Absatz hinzugefügt wurde, dann erkennt man, dass hier eigentlich vom Gesetzgeber gemeint war, dass man belehrt wird a la Hollywood „SiE hAbEn DaS RecHt zu ScHWeigen“…
* KRP.0049.0145 (Erste Lesung)
* KRP.0049.0176 (Zweite Lesung, Schlussabstimmung)
Also hat das BGer seine Hausaufgaben nicht gemacht! Normalerweise gilt was der Gesetzgeber meinte+bezwecken wollte und nicht was exakt geschrieben steht.
Ich halte den Entscheid ebenfalls für falsch – unter Hinweis auf Art. 175 Abs. 2 StPO. Ich habe aber noch ein ganz anderes Problem: Ich verstehe nicht, wer überhaupt die bedrohte und damit antragsberechtigte Person sein soll..
Wer war die bedrohte Person?
Die bedrohten Personen waren die Ehefrau, ihr neuer Freund sowie die gemeinsamen Kinder. Für den Straftatbestand der Drohung ist es nicht erforderlich, dass der Täter die Drohung unmittelbar an das Opfer richtet. Es reicht, wenn der Täter damit rechnet und zumindest in Kauf nimmt (Eventualvorsatz), dass die Drohung das Opfer erreicht und dieses dadurch in Angst und Schrecken versetzt wird. Hier wurde die Tötungsdrohung über die Schwester an die Polizei und somit an die anwesende Ehefrau herangetragen.
Wer ist antragsberechtig?
Zwar handelt es sich beim Straftatbestand der Drohung nach Art. 180 Abs. 1 StGB um ein Antragsdelikt. Allerdings wird die Straftat jedoch nach Abs. 2 lit. a von Amtes wegen verfolgt, wenn sich die Drohung gegen den Ehegatten richtet. Die Frage wer antragsberechtigt ist, erübrigt sich somit.
‚Gemäss Art. 14 Abs. 1 PolG/OW kann die Kantonspolizei eine Person ohne die Beachtung besonderer Formvorschriften zu Sachverhalten befragen, wenn dies für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben notwendig ist.‘
‚Auch wenn Beweismittel im Rahmen der präventiv-polizeilichen Tätigkeit erhoben werden, sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Beweisverbotsregelungen der StPO zu beachten. Andernfalls wäre die Sammlung von Beweisen ausserhalb der strafprozessualen Regeln ins Belieben oder zur freien Disposition der Behörden gestellt.‘
Diese beiden Erwägungen lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Die Regelung in Art. 14 Abs. 1 PolG sieht keine Belehrung vor und bewegt sich damit ausserhalb der strafprozessualen Regeln. Die Konsequenz: eine absolute Unverwertbarkeit.
Sie legen den Finger exakt auf die entscheidende Schwachstelle in der Argumentation des Bundesgerichts. Ihre implizite Kritik, die Lösung des Gerichts sei „unrichtig“, ist aus meiner Sicht absolut zutreffend. Gerne möchte ich Ihnen mit den folgenden logischen Überlegungen beipflichten, warum die Aussagen der Schwester niemals hätten verwertet werden dürfen.
Die vom Bundesgericht vorgenommene Abgrenzung zwischen präventiv-polizeilicher Tätigkeit (nach kantonalem Polizeirecht) und strafprozessualer Ermittlung (nach StPO) erscheint in diesem konkreten Fall als eine rein formale, die der materiellen Realität des Geschehens nicht gerecht wird.
Der entscheidende Umschlagpunkt, an dem die Situation von einer reinen Gefahrenabwehr zu einer strafprozessualen Ermittlung kippt, ist der Moment, in dem die Schwester die Notiz „Er will ihn umbringen“ verfasst. Ab diesem Augenblick hat sich die Sachlage qualitativ verändert und die Argumentation des Bundesgerichts (und der Obwaldner kantonalen Erst- und Vorinstanz) wird brüchig:
1)
Vom diffusen Gefahrenverdacht zum konkreten Anfangsverdacht: Die ursprüngliche Meldung einer „möglichen Suizidabsicht“ ist vage und rechtfertigt ein präventives Vorgehen. Die schriftliche Notiz hingegen begründet einen klaren und konkreten Anfangsverdacht für eine schwere Straftat nach StGB (mindestens Drohung, Art. 180 StGB; evtl. Vorbereitungshandlungen zu einem Tötungsdelikt). Mit dem Vorliegen eines solchen Anfangsverdachts ist die Schwelle zur Anwendung der Strafprozessordnung unwiderruflich überschritten.
2)
Von der Gefahrenabwehr zur gezielten Beweiserhebung: Die unmittelbare Nachfrage des Polizisten nach dem genauen Gesprächsinhalt war keine Massnahme zur Abwehr einer abstrakten Gefahr mehr. Sie war eine gezielte Befragung zur Erhärtung und Konkretisierung des soeben entstandenen Tatverdachts. Dies ist der Inbegriff einer strafprozessualen Ermittlungshandlung, deren Zweck die Sammlung von Beweismitteln ist. Die Handlung der Polizei war ab diesem Moment nicht mehr primär präventiv, sondern repressiv (strafverfolgend) ausgerichtet.
3)
Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts (Schutzgedanke der StPO): Der wichtigste Punkt ist der fundamentale Schutzgedanke von Art. 168 f. in Verbindung mit Art. 177 StPO. Diese Normen sollen nahe Angehörige vor dem schmerzhaften Loyalitätskonflikt schützen, gegen ein Familienmitglied aussagen zu müssen. Indem das Gericht die Befragung als „formlos“ und „präventiv“ einstuft, hebelt es diesen zentralen Schutzmechanismus faktisch aus. Die Aussage, die unter Einhaltung der StPO-Vorschriften und nach korrekter Belehrung möglicherweise nie gemacht worden wäre, wird so zur entscheidenden Grundlage der Verurteilung.
4)
Die Gefahr der Umgehung und Präjudizwirkung: Würde man die Argumentation des Bundesgerichts verallgemeinern, entstünde eine gefährliche prozessuale Grauzone. Die Polizei könnte unter dem Deckmantel der „Gefahrenabwehr“ systematisch entscheidende Erstbefragungen ohne jegliche Rechtsbelehrung durchführen und damit die prozessualen Garantien der StPO umgehen. Das Resultat wäre eine Beweisgewinnung im „rechtsfreien Raum“, die dem Sinn und Zweck einer formalisierten Strafprozessordnung fundamental widerspricht.
Fazit:
Die materielle Situation schlug in dem Moment in eine strafprozessuale Ermittlung um, als ein konkreter Tatverdacht entstand und die Polizei gezielt begann, diesen abzuklären. Genau in diesem Moment hätte die Schwester als Zeugin im Sinne der StPO behandelt und über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt werden müssen.
Die unterlassene Belehrung führt nach dem klaren Wortlaut von Art. 177 Abs. 3 StPO zur Ungültigkeit und damit zur absoluten Unverwertbarkeit der Einvernahme und der daraus resultierenden Aussagen. Ihre Einschätzung, dass die Lösung des Bundesgerichts „unrichtig“ ist, teile ich daher vollumfänglich.
Vielen Dank für diesen prägnanten und wichtigen Denkanstoss, der die kritische Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung fördert.
M.E. sind Ihre Ausführungen in Ziffer 3 und 4 zutreffend und zentral: Das Bundesgericht umgeht prozessuale Garantien, um das (ev.) rechtswidrige Verhalten der Polizei nachträglich zu legitimieren, um verurteilen zu können.
Eventuell vergleichbar mit den „Früchten des vergifteten Baumes (fruit of the poisonous tree)“:
„Strafermittlungsorgane können bei bestehendem Verdacht eine Beweisquelle vermuten (Baum), die zur Aufklärung des Falles und gerichtsverwertbaren Beweisen führen kann (Früchte). Wenn sie jedoch darauf zugreifen, ohne rechtsstaatliche Kriterien zu beachten, machen sie diese Beweise unverwertbar. Einmal gesichert, dürfen diese fehlerbehafteten Beweise nicht dazu benutzt werden, die bereits verletzten Gebote zu umgehen und weitere Beweise zu ermitteln, denn auch diese neuen Beweise sind fehlerbehaftet und nicht gerichtlich verwertbar. Sie sind für einen Rechtsstaat als Früchte des vergifteten Baumes ungeniessbar“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BCchte_des_vergifteten_Baumes=).
Mir gehen all die KI-generierten Kommentare auf die Nerven. Früher gab es immerhin amüsante Beiträge (von Rechtsanwalt B. usw.) oder wirklich mal Gehaltvolles. Naja.
Die querulantischen KIs …
Leider hat sich auch Jürg Fehr – ehemaliger Oberrichter in Aargau – abgemeldet. Seine (Konter-)Kommentare waren zwar jeweils zum Haare raufen, aber haben immerhin Emotionen hervorgerufen…
Geb dir vollkommen recht.
Ich halte die Argumentation des Bundesgerichts für vertretbar.
Der entscheidende Faktor ist der Handlungsrahmen. Die Polizei war nicht vor Ort, um eine bereits begangene Straftat aufzuklären. Sie war alarmiert worden, um eine gemeldete, potenziell unmittelbar bevorstehende Katastrophe – einen erweiterten Suizid – zu verhindern. In dieser Konstellation ist die oberste Handlungsmaxime die Abwehr der akuten Gefahr für Leib und Leben. Dieser Auftrag ergibt sich aus dem kantonalen Polizeirecht, dessen Ziel der Schutz der öffentlichen Sicherheit ist. Die Strafprozessordnung hingegen regelt die Untersuchung bereits begangener Straftaten. Eine Kollision dieser Rechtsordnungen muss zugunsten der unmittelbaren Gefahrenabwehr gelöst werden. Stellen wir uns das alternative Szenario vor, das eine strikte Anwendung der StPO gefordert hätte: Der Polizist hätte nach der Notiz der Schwester innehalten, die Situation unterbrechen und eine formelle Belehrungsprozedur beginnen müssen („Sehr geehrte Frau B., ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie nun als Zeugin in einem möglichen Strafverfahren gegen Ihren Bruder gelten. Sie haben nach Artikel 168 das Recht, die Aussage zu verweigern …“). Dies alles, während am anderen Ende der Leitung ein Mann droht, dass „in 10′ alles vorbei“ sei. Ein solches Vorgehen wäre nicht nur lebensfremd, sondern operativ grob fahrlässig und potenziell fatal gewesen. Das Recht kann von seinen Organen kein Verhalten verlangen, das die Abwendung einer Lebensgefahr aktiv behindert.
Die Annahme, die Notiz „Er will ihn umbringen“ würde die Situation sofort in ein Strafverfahren verwandeln, greift zu kurz. Eine solche Aussage ist im Moment ihrer Entstehung interpretationsoffen. Man muss sich fragen: Wie konkret ist die Drohung? Handelt es sich um eine ernstzunehmende Absicht oder um eine emotionale Äusserung im Affekt einer Trennungssituation? Gegen wen richtet sie sich genau?
Die unmittelbare Nachfrage des Polizisten war daher kein Akt der Beweiserhebung für eine spätere Anklage, sondern ein zwingend notwendiger Schritt der Sachverhaltsklärung zur Beurteilung der akuten Gefahrenlage. Ohne diese Klärung hätte die Polizei gar nicht handlungsfähig entscheiden können, welche Massnahmen (z.B. die Alarmierung der Zürcher Polizei) erforderlich sind.
Perfekte Zusammenfassung für „Beweiserhebung der ersten Stunde“…
Aber dein sinngemässes Argument Menschenleben haben Vorrang gegenüber prozessualen Regeln stimmt offensichtlich nur, wenn der Staat verkackt 😉 Gibt genügend BGer-Urteile über Behördenmitarbeitern, die durch das Einhalten von prozessualen Regeln den Tod von anderen verursacht haben und da hiess es: Hat sich ja nur an die Regeln gehalten.
Es ist egal was im Gesetz steht, de facto wird das BGer niemals einer ihrer Untertanen bestrafen (siehe Verdingkinder, siehe ZH-Polizist überfährt Unschuldigen zum Rollstuhlfahrer aufgrund Verwechslung etc.)
Dass der Polizeibeamte hier nicht formell „StPO bzw. Rechtsprechungskonform“ vorgegangen ist und mitten in dieser brenzlichen Situation formell den Verfahrenskontext wechselt, kann wohl fast jeder nachvollziehen. Wieso man sich aber in der nachträglichen strafrechtlichen Aufarbeitung lediglich der Bestrafung mit einer bedingten Geldstrafe und einer Busse willen sich für die Begründung der StPO-Werthaltigkeit der bestehenden Beweise so verrenken muss, wirft aber doch Fragen auf? Angst vor dem Etikett der „Kuschel- oder Formaljustiz“?
Genau so schaut’s aus.
Begeisterungsstürme werden Sie damit nicht auslösen. Alles, was auch nur entfernt nach konsequenter Strafverfolgung riecht, gilt hier als finsteres Relikt autoritärer Zeiten. Strafen? Unerhört! Wer so etwas fordert, muss ein Unmensch sein – selbstverständlich nur so lange, bis der eigene Laptop verschwindet oder die pubertierende Tochter einen ungebetenen Verehrer hat. Dann ist auf einmal das Bedürfnis nach Law and Order erstaunlich ausgeprägt.
Dies bloss als Randnotiz und ohne darüber zu urteilen, ob das Bundesgericht richtig oder falsch entscheiden hat, aber in Beipflichtung zur Sichtweise von Zaungast und als Denkanstoss: Rechtsgelehrte mögen den Angehörigen der Polizei irrigerweise unterstellen, sie hätten in strafprozessualer Hinsicht absolut sattelfest zu sein und in jeder noch so brenzligen Situation, in der es gilt, innert Sekunden zu reagieren. stets den passenden StPO-Artikel im Hinterkopf parat, um just danach zu handeln (beispielhaft: Rechtskunde Polizeischule Ostpol 120 Lektionen). Nun ist dem leider – oder gottseidank – nicht so. Gottseidank deshalb, weil das beherzte und manchmal als hemdsärmelig zu bezeichnendes Eingreifen von Polizisten (die vormals Köche, Elektriker, Schreiner usw. und selten Jus-Studenten waren) verhindert würde, wenn diese anlässlich ihrer Einsätze wie Rechts-, Staatsanwälte und Richter denken würden. Im Gegensatz zu Letzteren, welche an ihren Schreibtischen massenhaft Zeit darin investieren können, darüber zu sinnieren, wie der Ablauf rechtlich korrekt und einwandfrei hätte funktionieren müssen, hat der polizeiliche Sachbearbeiter diese Zeit in Einsätzen wie dem Vorliegenden nicht. Der Anspruch, die Polizei hätte bei der beschriebenen, akuten Gefahrenlage sofort auf eine Befragung als Zeugin inkl. Rechtsbelehrung umschwenken müssen, ist daher tatsächlich lebensfremd und nicht mit dem Grundsatz des polizeilichen Handelns in einer solchen Situation vereinbar. Der handelnde Polizist will in erster Linie eine schwere Gewalttat verhindern und Leben schützen, und nicht StPO-konform gerichtsverwertbare Beweise erheben.
@actanonverba: es geht doch nicht darum, der Polizei einen Vorwurf zu machen, was hier wohl kaum jemandem einfallen würde. Das ändert aber doch nichts an der Frage, ob die Aussagen verwertbar sind.
Würde Ihr Argument (2. Absatz) zutreffen, also Abwendung akuter Lebensgefahr ohne rechtliche Schranken, dürfte am Ende die Polizei in so einem Fall auch foltern oder Folter androhen (vgl. den Gäfgen-Fall [Daschner-Prozess]: https://de.wikipedia.org/wiki/Daschner-Prozess). Am Ende steht die Verletzung der Menschenwürde, was das damalige Gericht als „nicht zu rechtfertigen“ beurteilte.