Wann wird Rechtsprechung zur Rechtsbeugung?
Das Obergericht AG macht seinem Ruf, die Entschädigungsansprüche der Strafverteidiger serienweise zu schmälern (vgl. bspw. meinen früheren Beitrag), einmal mehr alle Ehre.
In einem aktuellen Entscheid hat es nun versucht, die Übergangsbestimmungen des Anwaltstarifs (AnwT/AG; SAR 291.150) zu Ungunsten der Verteidigung auszulegen. Das Bundesgericht wirft ihm jetzt aber vor, das Dekret, mit dem der Tarif geändert worden war, offensichtlich falsch anzuwenden (BGer 6B_168/2024 vom 27.03.2025):
Der AnwT/AG (in der Fassung ab 1. Januar 2024) enthält in § 17 eine Übergangsbestimmung. Danach ist das Dekret auf alle Verfahren und für das ganze Verfahren vor derjenigen Instanz anwendbar, bei welcher sie im Zeitpunkt seines Inkrafttretens hängig sind (Abs. 1). Diese Kollisionsnorm wurde bei der ersten Inkraftsetzung des Dekrets (am 1. Januar 1988) erlassen und seither nicht mehr geändert. Bestimmte Revisionen – etwa die mit Änderung vom 10. Mai 2011 eingeführten neuen Ansätze für die Entschädigung in Strafsachen (vgl. dazu AGS 2011/3-26; § 17 Abs. 4 AnwT/AG) – wurden jedoch explizit von der Regelung des § 17 Abs. 1 AnwT/AG ausgenommen (Abs. 2-4). Daraus lässt sich schliessen, dass sich die Übergangsbestimmung des § 17 Abs. 1 AnwT/AG nicht nur auf das erstmalige Inkrafttreten, sondern auch auf nachfolgende Änderungen des Dekrets bezieht. Für die streitige Revision vom 19. September 2023 wurde, wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, kein Vorbehalt nach dem Vorbild von § 17 Abs. 2-4 AnwT/AG angebracht. Somit kann der Auffassung der Vorinstanz, § 17 Abs. 1 AnwT/AG sei auf die Höhe des Stundenansatzes der amtlichen Verteidigung nicht anwendbar, nicht gefolgt werden. Sie hat das Dekret offensichtlich falsch angewendet, indem sie den Beschwerdeführer lediglich für seine nach dem 1. Januar 2024 erbrachten Leistungen mit Fr. 220.– pro Stunde entschädigt hat. Gestützt auf § 17 Abs. 1 AnwT/AG ist der seit dem 1. Januar 2024 geltende § 9 Abs. 3bis AnwT/AG rückwirkend auf das ganze Berufungsverfahren anzuwenden und der Beschwerdeführer für sämtliche zwischen 2020 und 2024 erbrachten Leistungen mit einem Stundenansatz von Fr. 220.– zu entschädigen (E 2.4.2).
Ich würde ja etwas gelassener reagieren, wenn es sich hier um einen Einzelfall handeln würde. Wer aber die Praxis des Obergerichts des Kantons Aargau und die Zahl der gutgeheissenen Beschwerden gegen seine Entschädigungsentscheide verfolgt, kommt nicht um die Frage herum, wie weit Richter ohne jede Folge für sie selbst gehen dürfen.
Das Problem am Obergericht AG ist doch offenkundig, dass die dortigen Richter:innen seit Jahren kritik- und sanktionslos „tun und lassen“ können, wie es ihnen gerade beliebt. Betrachtet man die aktuelle (und insbesondere frühere) Zusammensetzung des betreffenden Obergerichts AG, so erstaunen mich die „zahlreichen Einzelfälle“ im Kontext des dort ausübenden Gerichtspräsidiums überhaupt nicht.
Die (Richter:innen-) Qualität scheint überdies auch in all den Jahren nicht besser geworden zu sein. Dies im Kontext dessen, dass eine ehemalige geschäftsführende Gerichtspräsidentin (Zofingen) stets fragwürdige (Sicherheits-)Haftentscheide erliess (vgl. statt vieler: https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/vom-gerichtssaal-direkt-in-die-sicherheitshaft-aussagen-der-kinder-wurden-nock-zum-verhangnis-ld.1401380) und aktuell als Oberrichterin operiert. Mir sind zahlreiche Haftentscheide der „Fürsprecherin“ bekannt, welche grösstenteils kassiert wurden.
Mich persönlich verwundert es denn auch nicht, dass die gleiche ehemalige geschäftsführende Gerichtspräsidentin in einen Unfall verwickelt war (siehe: https://www.telem1.ch/aktuell/was-wenn-der-unfallverursacher-eine-richterin-ist-139296871). Von diesem Ereignis wurde nie mehr berichtet, geschweige denn, wie der Fall ausging.
In diesem BGE ging es ja „nur“ um ca. 200.- (wenn ich das richtig lese). Ihr früherer Beitrag (@KJ) zeigt jedoch, dass das Obergericht Aargau systematisch Honorare kürzt. Es will damit offenbar die wirksame Verteidigung der Angeklagten/Mandanten behindern (klar ist es damit auch parteiisch, wie Sie in Ihrem früheren Beitrag feststellen).
Aber eben, wie heissen denn diese RichterInnen?
Warum erfährt man das nicht automatisch, sondern muss es selbst mühsam zusammengoogeln?
Wer stoppt dieses illegale Treiben endlich, das der Steuerzahler auch noch mit üppigen Gehältern für diese … Leute belohnt? Grotesk.
Und das soll rechtsstaatlich sein? Langsam klingt diese Schweizer Phrase genauso lächerlich wie die tägliche Propaganda aus Diktaturen.
In diesem BGer ging nicht nur um CHF 200.00, sondern um den Stundenansatz von CHF 200.00 oder eben richtigerweise CHF 220.00, welcher das Obergericht nicht rückwirkend anwenden wollte.
Wen jemand Interesse hat, hätte ich die BGer-Urteile seit 2000 in JSON-Format. Wäre wohl nicht viel Aufwand die Frage „wie oft das OG AG vor BGer im (Teil-)Gegenstand ‚Entschädigung der amtlichen Verteidigung‘ kassiert“ zu errechnen.
Theoretisch sollte dies auch der Betreiber von bger-update.ch beantworten können, da er diese Daten ebenfalls in einem „normierten“ Zustand haben sollte.
@Laie: an der BGer-JSON wäre ich sehr interessiert.