Wer uns vertraut ist, selber schuld!
Unter diesem Titel kommentiert Daniel Binswanger im Magazin treffend die Auslieferungsposse um Roman Polanski. Binswanger trat am Freitag auch in der Arena auf, in der viel über Rechtsstaatlichkeit geeifert wurde. Die Unschuldsvermutung, die ein zentrales Institut des Rechtsstaats darstellt, wurde explizit nie erwähnt. Nur der Regisseur Rolf Lyssy wagte es, die im Auslieferungsverfahren keine Rolle spielenden Vorwürfe gegenüber Polanski zu hinterfragen. Damit dürfte er sich freilich die Empörung der Moralisten zugezogen haben.
Was in den Medien an rechtlichen Informationen geboten wurde und wird, ist mehr als dürftig. Die moralischen Fragen haben die politischen und die juristischen wie üblich verdrängt. Willkommen im Moralstaat Schweiz.
Dann kann ja dieser Blog „Strafprozess“ diese Aufgabe übernehmen, diese dürftigen Informationen zu ergänzen.
DUMM!
Würde er gern, muss es aber denjenigen überlassen, die zeit haben und dafür bezahlt werden.
Also wie gehabt – einfach mal ausrufen, aber besser machen… Wie sagte doch Willi Ritschard richtig: „Auf Hundert Besserwisser gibts höchstens einen Bessermacher“.
Na na na, tin, wieso denn gleich so aufgeregt? Ich habe wenigstens aus dem anwendbaren Staatsvertrag zitiert.
Hans Giger hat hier was.
@admin betr. Hans Giger:
Wurde aber heute in der NZZ „widerlegt“. Scheint überzeugend, dass die Verjährung nicht ordre public sein kann, wenn doch neuerdings auch in der Schweiz solche Straftaten unverjährbar sind.
Die sich stellenden materiellen Fragen hat ja wohl das zuständige kalifornische Gericht zu beurteilen. Die Ausliererung setzt denn auch keine Verurteilung voraus, sondern lediglich die Verfolgung (Artikel 1 Absatz 1 des Auslieferungsvertrages).
Dass es im Auslieferungsverfahren nicht darum geht, die angebliche Tat zu beurteilen, ist völlig unbestritten. Hans Giger widerlegt gar nichts. Er fasst nur die herumgebotenen Meinungen zusammen und spekuliert über die angebliche Tat.
Ich bleibe dabei: Es war dumm, Polanski bei seiner Einreise zu verhaften. Eine rechtliche Verpflichtung zur umgehenden Verhaftung kann ich zudem nicht erkennen. Und Dringlichkeit – eine Voraussetzung für die vorläufige Auslieferungshaft – erst recht nicht.
Ich sehe die Dringlichkeit in der Fluchtgefahr. Und seien wir ehrlich: was für ein Aufschrei hätte das gegeben, wenn man Polanski zuerst am Filmfestival teilnehmen lassen hätte und ihn dann z.B. vor seiner Abreise verhaftet hätte?!?
Die Verhaftung eines Sexualstraftäter, der sich der Justiz durch Flucht über Jahre entzieht, als dumm zu bezeichnen, finde ich grotesk – und gerade in diesem Blog.
Polanski ist so lange kein Sexualstraftäter als er nicht rechtskräftig verurteilt ist, aber wie gesagt, das ist hier nicht die Frage. Dass Polanski ein Verfahren am Hals hat, war auch dem BAK bekannt, das ihn ehren wollte. Und es war auch dem BJ bekannt, das den Erwerb seines Hauses in Gstaad bewilligt hat. Und es war der Steuerverwaltung bekannt, das seine Steuern veranlagt und einzieht. Wäre Polanski nicht Polanski hätte man die Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag auch erfüllen können, ohne sich in derartige Widersprüche zu verstricken. Dass die Sache nicht so wichtig ist, wie sie die Schweiz für sich nun gemacht hat, wird sich im amerikanischen Verfahren rasch zeigen. Ich halte den Zeitpunkt und die Umstände der Verhaftung nach wie vor für dumm.
Der internationale Haftbefehl stammt von 2005 – also nach dem Hausbau. Dumm? Ja, dumm gelaufen für Herr Polanski und den Zürichern Veranstaltern, die auf „Treu und Glauben“ gebaut hatten, es würde schon nichts passieren.
A propos Unschuldsvermutung: Der Mann ist der sexuellen Handlungen mit einer Minderjährigen geständig und hat in 30 Jahren nie sein Geständnis oder den Sachverhalt an sich in Zweifel gezogen. Auch nicht, als er kürzlich die Einstellung des Verfahrens verlangte. Der einzige Streitpunkt, nämlich die Einvernehmlichkeit der Handlungen (und damit die Qualifikation als Vergewaltigung oder Schändung), ist eigentlich längst vom Tisch.
Wo bitte will man da noch mit der Unschuldsvermutung hantieren? Gegen den Willen des Angeklagten? Das dünkt mich nun doch etwas gar viel Formalismus.
In einem System, das Absprachen zulässt, hat für mich das Geständnis als Königin der Beweismittel noch geringere Bedeutung.
Das formelle Kriterium der rechtskräftigen Verurteilung mal beiseite, was wäre denn in so einem Fall für Sie Beweis genug?
Opfer und Täter sind sich über den Sachverhalt einig. Der Täter hat hier einen Deal nur hinsichtlich der Subsumtion geschlossen (sex. Handlung mit einer Minderjärigen statt Vergewaltigung eines Kindes unter Einsatz von Betäubungsmitteln), nicht im Sachverhalt. Im Sachverhalt sind sich alle einig, und waren es schon immer.
Ich teile ja im Allgemeinen Ihre Skepsis gegenüber dem Geständnis als absolutes Beweismittel, aber ist das hier wirklich ein Anwendungsfall? Der Vorfall an sich ist ja auch vom Täter selbst im wesentlichen unbestritten. Sein einziger Einwand war schon damals, dass es einvernehmlich war – was bei 13-jährigen in Kalifornien von Gesetzes wegen unmöglich ist (wie auch bei uns, im Übrigen).
Mit seinem Deal hat er diese Problematik umgangen. Mit seinem Deal ist bzw. wäre er extrem gut weggekommen, weil er trotz mehr als 30 jahren Altersdifferenz zu einem nur 13-jährigen Opfer behandelt wurde, als sei er nur 3 Jahre älter als über 16-jähriges Opfer. Das Verabreichen von Drogen und Alkohol wurde ganz fallengelassen, obschon auch nicht bestritten.
Wenn man den Deal kritisieren wollte, dann wohl aus Opfersicht. Aber das Opfer wollte den Deal auch, um ein öffentliches Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Spielt alles keine Rolle für die Auslieferung, aber mit dem reflexartigen Händeringen, jedesmal wenn die US Justiz zur Sprache kommt, macht man es sich schon etwas gar einfach, oder nicht? Unschuldsvermutung in Ehren, aber es ist die Kehrseite des gleichen aufklärerischen Gedankens, dass man sich auch schuldig bekennen kann.
Ich bin nun wirklich keiner, der der US-Justiz – bei allen Blüten, die sie treibt – grundsätzlich misstraut. Ich habe einfach zu viele falsche Geständnisse erlebt, um an sie zu glauben. Plea bargains fördern mein Vertrauen nicht. Unschuldsvermutung heisst, dass bis zur rechtskräftigen Verurteilung davon auszugehen ist, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen hat.
Natürlich, bindet aber in dieser formellen Absolutheit wohl nur die Richter. Uns ‚Normalsterblichen‘ dürfte im Diskurs eher die journalistische Form betreffen, ansonsten jede vernünftige Diskussion über diesen Fall verunmöglicht wird.
Dass es z.B. auch Polanski nicht darum geht, *ob* er es getan hat, sondern nur, ob und wie lange er hinter Gitter muss, ist doch geradezu ein Schlüsselelement dieses gesamten Sachverhalts. Ich frage mich etwa, ob es bei strittigen Vorwürfen zu dieser Verhaftung gekommen wäre. Wir haben eine lange tradition der Gastfreundschaft gegenüber ‚Fugitives from Justice‘, aber wenn er es gleich selbst sagt, dass er es war, was will man da noch machen?
Ich wage sogar zu behaupten, dass das Verfahren bei massgeblich umstrittenem Sachverhalt auch von den US Behörden längst eingestellt worden wäre. Aber wie will man etwas einstellen, wenn der Sachverhalt klar ist und die Tat nicht verjährt? Wer würde so einen Beschluss unterschreiben? Keiner eben. Keine Staatsanwaltskarriere würde das überleben. Auch bei uns nicht.