Wir verhandeln montags!
Böse Stimmen behaupten, die Strafjustiz stehe kurz vor dem Kollaps. Gute Stimmen ergänzen, dass sie zurzeit nur noch deshalb funktioniere, weil sich die Betroffenen dem Termindiktat der Gerichte beugen und sich entsprechend organisieren müssen. Wenn beispielsweise das Bezirksgericht Pfäffikon nur montags verhandelt,, dann haben sich gefälligst auch Anwälte danach zu richten, auch wenn sie montags andere Verpflichtungen haben. Das aktuelle Beispiele traf die unentgeltliche Rechtsvertreterin einer Privatklägerin, die ein abgewiesenes Verschiebungsgesuch ans Bundesgericht zog und – what else? – abgewatscht wurde (BGer 7B_594/2025 vom 04.08.2025):
Die unentgeltliche Rechtsbeiständin trägt vor, sie könne aufgrund familiärer Verpflichtungen montags grundsätzlich nicht an Verhandlungen teilnehmen. Es ist jedoch fraglich, ob solche wiederkehrenden Betreuungspflichten überhaupt unter Art. 205 Abs. 2 StPO fallen. Vorliegend fehlt jedenfalls ein konkreter Nachweis für eine absolute Verhinderung. Insbesondere wurde keine schriftliche Bestätigung der Kita vorgelegt, die besagt, dass eine Betreuung am fraglichen Tag definitiv ausgeschlossen ist (E. 3.2).
…
Am 1. September 2025 seien viele Verfahrensbeteiligte verfügbar, darunter die Anklägerin, der Beschuldigte, dessen Verteidiger sowie zwei Dolmetschende. Zudem verhandle das Gericht grundsätzlich montags. Weiter hielt die Vorinstanz fest, der grundsätzlichen Verhinderung der unentgeltlichen Rechtsbeiständin montags sei insofern Rechnung getragen worden, als die Vorladung zur Hauptverhandlung mit entsprechendem Vorlauf angesetzt wurde, sodass der unentgeltlichen Rechtsbeiständin genügend Zeit zur organisatorischen Vorbereitung blieb (E. 3.2).
Auf den Kosten bleibt die Kollegin sitzen (CHF 3,000.00 zzgl. Arbeit).
Die Beschwerde ans BGer wurde sicher an einem Montag redigiert…?
Genau. Und zwar genau im Zeitfenster, in dem das Gericht tagt. So funny!
Ob die 5T/Woche Abkömmlichkeit auch für die Gerichtspräsidien im Teilzeitpensum gilt? 😉
Anwälte dürfen offenbar nicht Teilzeit arbeiten. Dieses Privileg gibt es in der Strafjustiz nur für Polizei, Stawa und Gerichte. Das Bundesgericht würde auf diese Kritik antworten, das sei hinzunehmen (eine Lieblingsformulierung des BGer, wenn es einen umbilligen Entscheid fällt).
Beim Staat ist auch eine Vollzeitstelle höchsten geistig Teilzeit zu bewirtschaften.
Noch zwei Punkte, die ich zusätzlich problematisch finde (beide aus E. 3.2)
„Entweder nimmt sie den Termin selbst wahr oder sie sorgt dafür, dass eine Vertretung rechtzeitig eingeführt und mit der Privatklägerin vertraut gemacht wird. “
Das blendet ja komplett aus, dass vor allem ein Opfer mit dessen Vertretung ein Vertrauensverhältnis aufbauen muss und nicht umgekehrt. Die letzten 40 Jahre Erfahrungen zum Opferschutz werden da flugs ignoriert.
„Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin verletzt schliesslich das abgewiesene Verschiebungsgesuch auch ihr Recht auf „Wahlverteidigung“ nicht. Die unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerin wurde nicht abgelehnt, sondern ist formal bestellt. Die gewünschte Rechtsbeiständin nimmt das Mandat weiterhin wahr, auch wenn sie möglicherweise nicht persönlich an der Hauptverhandlung teilnehmen kann.“
Eine schöne Entkernung des Rechts der Wahl der eigenen Vertretung. Wählen darf man sie zwar schon, aber ob sie einen dann beim wichtigsten Termin des Verfahrens vertreten darf, hat damit nichts zu tun…
Und wenn die StA ein Verfahren über Jahrezehnte verschlept reicht die Feststellung im Dispostiv. Was für faire Verfahren wir doch haben, saufen wir doch etwas mehr Wein wie unser Wirtschaftsminister empfohlen hat, das brauchen wir um es zu ertragen.
Ich kann die Kritik beim besten Willen nicht nachvollziehen. Die Verhandlung wurde fünf Monate im Voraus angesetzt. Bei der Kinderbetreuung dürfte es ohne Weiteres möglich, sich mit fünf Monaten Vorlaufzeit anders zu organisieren. Wenn es mit der Kita nicht klappen sollte, bleiben noch Familie (namentlich der andere Elternteil), Freunde oder halt der Beizug einer Nanny.
Fakt ist, egal an welchem Wochentag ein Gericht seine Verhandlungen üblicherweise durchführt, es wird es nie allen Beteiligten Recht machen können. Am Dienstag hat Staatsanwältin X. ihren Mami-Tag, am Mittwoch hat Dolmetscher Y. Präsenzpflicht bei der Arbeit, am Donnerstag ist Rechtsanwalt Z. auf dem Golfplatz, weil er jeweils donnerstags seinen arbeitsfreien Tag hat und am Freitag will eh niemand kommen, weil ab Mittag ja Wochenende ist. Nochmals: Bei fünf Monaten Vorlaufzeit stellen all diese vermeintlichen Verhinderungsgründe – anders z.B. als ein bereits festgesetzter anderer Gerichtstermin oder eine schon gebuchte Auslandreise – kein Motiv für eine Verschiebung dar. Ich kann nachvollziehen, wenn die Gerichte gar nicht erst versuchen, einen Wochentag zu finden, der allen perfekt passt. Geht man immer auf die Wünsche und Bedürfnisse aller Beteiligten ein, führt das in der Regel dazu, dass Termine weiter in die Zukunft verlegt werden. Dann wird hier wieder die lange Verfahrensdauer moniert.
@Kritiker: Im vorliegenden Fall habe ich ja durchaus Verständnis für Ihre Haltung. Mir wurden aber allein heute als (amtlicher) Verteidiger zwei Gerichtstermine für Dezember aufs Auge gedrückt, die ich nicht auch noch bewältigen kann und das auch kommuniziert hatte. In beiden Fällen keine Dringlichkeit. Beide Fälle aktenmässig umfangreich (einer sehr umfangreich), einer zweitägig. Jedes Gericht scheint zu glauben, es sei das einzige auf dieser Welt oder müsse keine Rücksicht auf die Termine anderer Gerichte nehmen, die viel früher ansetzen. Ich habe bereits heute Vorladungen für Spätsommer 2026. Das heisst nicht, dass der Vorlauf gleich so lange sein muss, aber wenn alle noch merken, dass sie noch im Nov/Dez 25 abschliessen wollen, dann geht es einfach nicht. Die Anwälte sind nach meiner Erfahrung übrigens die einzigen, die sich organisieren müssen. Auf die Agenden der übrigen Beteiligten (ausser natürlich den Beschuldigten) wird ohne Weiteres Rücksicht genommen, was auch korrekt ist.
Wieso muss ein Gericht überhaupt einen fixen Verhandlungstag haben?
@bs: Kinderbetreuung? Teilzeit?
@KJ: Sie irren. Auf die Agenda der Staatsanwaltschaft wird ebenso keine Rücksicht genommen. Als Institution hat sie einfach jemanden zu entsenden. Ob diese Person diejenige ist, welche die Untersuchung geführt hat, ist irrelevant. Dazu gab es vor nicht allzu langer Zeit auch einen Entscheid des Bundesgerichts.
Im hier zitierten Fall dürfte auch eine Rolle spielen, dass das Bezirksgericht teilweise mit nebenamtlichen Laienrichtern besetzt ist. Diese haben nicht dieselbe Verfügbarkeit, wie vollamtliche oder teilzeitlich arbeitende Richter.
@Anonym: ich kenne den Entscheid und irre allenfalls teilweise. Die meisten Gerichte bieten der Verteidigung nur Termine an, die zuvor mit der StA abgesprochen wurden.
@KJ: Ich präzisiere: Wieso muss ein Gericht überhaupt EINEN fixen Verhandlungstag haben?
Ich weiss nicht, ob Ihr Punkt in Lichte des Falles ironisch gemeint war. Und klae, auch Richter*innen sollten logischerweise Teilzeit arbeiten dürfen. Aber mehr als einen Verhandlungstag pro Woche sollte man ja schon finden, die Richter*innen werden ja nicht nur 20% arbeiten.
Um hier dem allgemeinen Tenor etwas Gegensteuer zu geben: Ich finde die Rechtsvertreterin zeigte sich auch nicht gerade flexibel. Rechtzeitig eine Kinderbetreuung zu organisieren, wäre für alle Beteiligten (die Gerichtsgebühr trägt ja die Privatklägerin) weitaus günstiger gekommen.
Die Rechtsvertreterin wird ja nicht nur diesen einen Fall haben. Einmal wird man sich ja schon anders organisieren können, aber wenn man jede Woche am arbeitsfreien Tag „ausnahmsweise“ Arbeiten muss, ist es zu viel. In jedem anderen Job ist Teilzeitarbeit mit fixen freien Tagen ja auch möglich und wieso ein Gericht immer nur montags verhandeln kann leuchtet ja nicht gerade ein.
….wegen diesen „Peanuts“ ans BGer zu gelangen sagt eigentlich alles…
Das das Vertrauen in den Rechtstaat bei vielen Bürgern gegen 0 tendiert, ja, die Frage ist wer sollte sich nun Gedanken machen….
Vielleicht kümmert sich im
Vorsorglichen Gehorsam die Aufsichtskommission des Kanton ZH um die Rechtsanwältin. Dort sind die nächsten Tagungstermine im Internet ersichtlich….. 🙂
Mit Eingabe vom 30. Juni 2025 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht.
E. 3.2: Die unentgeltliche Rechtsbeiständin trägt vor, sie könne aufgrund familiärer Verpflichtungen montags grundsätzlich nicht an Verhandlungen teilnehmen.
Was die unentgeltliche Rechtsbeiständin allerdings am MONTAG, 30. Juni 2025 kann, ist eine Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht verfassen. Dies selbstverständlich auf Kosten der Beschwerdeführerin. Ist das schon ein Haftpflichtfall? Ich frage für einen Kollegen.
Eingabe bedeutet nicht, wann es erfasst wurde, sondern wann es beim Bundesgericht einging (sagt ja schon das Wort).
Das Bundesgericht kann nicht wissen, wann es verfasst wurde. Sie schreiben ja nicht „am 30. Juni 2025 der Post überbrachte…“ oder „mit 30. Juni 2025 datierte…“ oder „… am 30. Juni 2025 persönlich überbrachte…“, sondern, dass es am (Montag) 30. Juni ankam.
@Laie:
Auch falsch. „Eingabe vom“ bezieht sich in der Regel auf das Datum der Postaufgabe, wobei dies bei Eingaben von Anwältinnen und Anwälten in der Regel dem Datum auf der Rechtsschrift entspricht. Unterscheiden sich die beiden Daten, liest man oft Formulierungen wie „mit Eingabe vom 30. Juni (Postaufgabe)“ oder „mit Eingabe vom 28. Juni (Datum Postaufgabe: 30. Juni)“. Wann die Rechtsschrift beim Bundesgericht ankommt, interessiert grundsätzlich nicht.
Richtig ist aber, dass sich aus dem Datum der Postaufgabe meist nicht ableiten lässt, wann die Eingabe (grossmehrheitlich) verfasst wurde.
Dann soll doch die unentgeltliche Nebenklägerin ihr Kind zur Verhandlung vom Montag mitbringen und ihm strafprozess.ch zum Spielen geben.