Zulässige Doppelvertretung
Wenn zwei Anwälte, die in derselben Kanzlei tätig sind, je einen Mitbeschuldigten vertreten, könnte eine Interessenkollision vorliegen, die zu einer unwirksamen Verteidigung beider Mitbeschuldigter führen könnte. In einem Fall aus dem Kanton Luzern war die „Doppelvertretung“ aber vielleicht nicht unzulässig (BGer 6B_294/2024 vom 22.10.2025, Fünferbesetzung). Das Bundesgericht lässt den möglicherweise unwirksam verteidigten Beschwerdeführer an Formvorschriften scheitern und erweckt damit den Anschein, dass es – hoffentlich – in der Sache nicht einstimmig entschieden hätte:
Dass und welche Sachverhaltsdarstellungen und Interessen vorliegend divergieren bzw. anhand welcher (Gesamt-) Umstände vorliegend auf ein konkretes Risiko des Auftretens gegensätzlicher Interessenlagen geschlossen werden müsste, tut der Beschwerdeführer nicht ansatzweise dar. Mit seinen Darlegungen folgt er vielmehr seiner unzutreffenden Rechtsauffassung, gemäss der das Bestehen einer Interessenkollision in abstrakter Weise zu evaluieren sei, womit einhergehend er ignoriert, dass es hierfür eines sich aus den gesamten Umständen ergebenden konkreten und damit in tatsächlicher Hinsicht zumindest in den Grundzügen darzulegenden konkreten Risikos bedarf. Es ist nicht die Aufgabe des Bundesgerichts, die (unzutreffenden) rechtlichen Vorbringen des Beschwerdeführers in tatsächlicher Hinsicht zu substanziieren (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).
Zusammenfassend legt damit der Beschwerdeführer nicht in einer den Formerfordernissen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) genügenden Weise dar, inwiefern durch eine unzulässige Doppelvertretung sein Recht auf eine wirksame Verteidigung verletzt worden sein soll. Die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann (Hervorhebungen durch mich).
Wir nehmen mit: Doppelvertretung ist zulässig. Zur Annahme einer unzulässigen Doppelvertretung und damit zu einer pflichtwidrigen Interessenkollision bedarf es eines „sich aus den gesamten Umständen ergebenden konkreten und damit in tatsächlicher Hinsicht zumindest in den Grundzügen darzulegenden konkreten Risikos“ (deutsche Sprache schwere Sprache).
Und das sagt das Gesetz (Art. 127 Abs. 3 StPO):
Der Rechtsbeistand kann in den Schranken von Gesetz und Standesregeln im gleichen Verfahren die Interessen mehrerer Verfahrensbeteiligter wahren.
Auch hier der völlig verfehlte Verweis auf die Standesregeln.
Ich bin ja Laie, aber verstehe ich das richtig, dass man hier – ähnlich wie bei der Siegelung – als Beschuldigter schon viel zu konkret Fakten präsentieren und seine Hosen herunterlassen muss? Bei der Doppelvertretung müsste man jetzt auch viel zu konkret konkret werden; die Wahl der «Strategie» ist doch Aufgabe des Strafverteidigers, und der lässt sich sicher nicht vorschnell in die Karten schauen. Das hört sich irgendwie nach einem offenzulegenden Gefangenendilemma an.
Könnten Sie erläutern, weshalb der Verweis auf die Standesregeln verfehlt ist?
@Standesregel: Die Standesregeln sind Regeln, die sich die im Verband organisierten Anwälte selbst geben und die sie auch jederzeit ändern können. Der Gesetzgeber hat darauf keinen Einfluss. Mit dem Verweis erhalten die Standesregeln (und ihre künftigen Änderungen) Gesetzesstatus. Besonders problematisch ist der Verweis in Art. 128 StPO. Aber das alles kommt vermutlich daher, dass der Autor des Gesetzesentwurfs den Unterschied zwischen privatem Verbands- oder Standesrecht einerseits und staatlichem Berufsrecht andererseits verkannt oder verwechselt hat.
Hm. Ich sehe zwar durchaus Ihren Punkt. Aber Ausdruck des Ganzen ist doch, dass Anwälte nicht pflichtwidrig handeln dürfen. Dies wird auf Ebene des Gesetzes wohl kaum zu erfassen sein, sondern bedarf der Konkretisierung auf unterer Stufe. Bei Fahrlässigkeitsdelikten wird auch regelmässig auf Branchenstandards abgestellt. Was, wenn nicht Richtlinien der eigenen Berufsverbände, soll denn herangezogen werden? Richtlinien der Gerichte? Ich glaube kaum, dass das eine sachgerechte(re) Lösung wäre.
@Standesregeln: Keine Richtlinien, sondern schlicht das Gesetz. Positiv BGFA, negativ StGB: Alles, was nicht strafbar ist, ist erlaubt, solange es mit den gesetzlichen Berufspflichten vereinbar ist. Die Diskussion in Deutschland ist deutlich weiter und sieht es m.W. ungefähr so wie ich.
Dann verstehe ich Sie richtig: das bgfa sollte näher umschreiben, was die Sorgfaltspflicht ausmacht? Heute steht ja nur „üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus“. Ich wage jetzt mal die Vermutung, dass gerade aus der Anwaltschaft keine grosse Begeisterung für eine konkretere Umschreibung auf Gesetzesstufe spürbar wäre, um es mal diplomatisch auszudrücken. Und ich frage mich auch, ob es das Richtige wäre. Die Schweiz hat eine Tradition des bottom up. Insofern frage ich mich, ob uns die Deutschen da wirklich „voraus“ sind oder nicht einfach eine andere Denktradition haben.
@Standesregel: Genau. Die Generalklausel ist hochproblematisch und auch da ist uns Deutschland ein paar Jahrzehnte voraus. Die Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, wünschen sich eine Konkretisierung der Generalklausel. Klarheit ist nie schädlich, zumal in den aufsichtsrechtlichen Verfahren einiger Kantons fast alles als Verletzung der Berufspflicht qualifiziert wird. Die Deutschen sind uns voraus, weil sie sich mit denselben Fragen auseinandersetzen mussten und sie m.W. teilweise sogar auch Stufe BVerfG geklärt haben.
Ok, damit kann ich was anfangen, danke. Eine Konkretisierung der Sorgfaltspflichten auf Stufe bgfa. Warum nicht? Fragt sich halt, ob der politische Wille bzw. Priorität da ist…
Klarheit ist Superschädlich hätten wir klare Gesetze die dem Wortlaut der Bestimmungen folgen würden, dann müssten wir ja nicht auslegen, dann könnte man sich 3/4 der Gerichte sparen….das wäre aber Schade für die Richter