Zum Antragsrecht der Staatsanwaltschaft nach StPO 231

Wird die inhaftierte beschuldigte Person freigesprochen und verfügt das erstinstanzliche Gericht deren Freilassung, so kann die Staatsanwaltschaft nach Massgabe von Art. 231 Abs. 2 lit. b StPO die Fortsetzung der Sicherheitshaft beantragen. Wie es sich bei Verurteilung und Freilassung verhält, regelt das Gesetz nicht.

In einem solchen im Gesetz eben nicht geregelten Fall hat die zuständige Staatsanwaltschaft beim Bezirksgericht zu Handen der Verfahrensleitung des Berufungsgerichts den Antrag auf Fortsetzung der Sicherheitshaft nach dem erstinstanzlichen Urteil gestellt. Das Obergericht ZH ist darauf nicht eingetreten, gemäss Bundesgericht zu Recht (BGer 7B_238/2025 vom 20.03.2025):  

Die Staatsanwaltschaft hat keinen Anlass bzw. kein rechtlich geschütztes Interesse daran, die Fortsetzung von Sicherheitshaft zu beantragen, wenn ihren Anträgen vollständig stattgegeben wurde. Anlass dazu bestünde nur im Hinblick auf ein Rechtsmittelverfahren, in welchem die Staatsanwaltschaft eine höhere Strafe beantragen würde. Dies ist hier unbestrittenermassen nicht der Fall. Daran ändert die Behauptung der Oberstaatsanwaltschaft nichts, wonach sie unter diesen Umständen nie die Möglichkeit hätte, die Fortdauer der Sicherheitshaft zu erwirken, wenn zwar ihren Anträgen hinsichtlich des Strafmasses entsprochen wurde, die beschuldigte Person aber (zu Unrecht) aus der Haft entlassen werde. Diese Annahme ist korrekt und steht im Einklang mit der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich des Beschwerderechts der Staatsanwaltschaft gegen Haftentlassungsentscheide. Auch in Bezug auf Art. 222 StPO hat die Staatsanwaltschaft – entgegen der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung – kein Beschwerderecht gegen Haftentlassungsentscheide mehr (vgl. BGE 149 IV 135). Entgegen der Auffassung der Oberstaatsanwaltschaft lässt sich nichts anderes aus dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Strafjustiz ableiten. 

Wenn die erste Instanz zum Schluss kommt, die Voraussetzungen der Sicherheitshaft seien – trotz vollumfänglichem Schuldspruch der beschuldigten Person – nicht mehr erfüllt, kann die Staatsanwaltschaft, deren Anträge hinsichtlich des Strafmasses vollständig stattgegeben wurden, keine Fortsetzung der Sicherheitshaft beantragen. 

Insoweit liegt denn auch gerade kein Anwendungsfall von Art. 231 Abs. 2 lit. b StPO vor. Im Rahmen eines Freispruchs erfolgt seitens des erstinstanzlichen Gerichts keine Auseinandersetzung mit der Thematik der Fortführung der Sicherheitshaft. Der Staatsanwaltschaft steht es in diesem Fall daher offen, zuhanden des Berufungsgerichts einen Antrag auf Fortsetzung der Sicherheitshaft zu stellen. Bei der vorliegenden Verurteilung des Angeklagten hat sich das Bezirksgericht demgegenüber ausdrücklich mit der Frage der Fortführung der Sicherheitshaft auseinandergesetzt, von einer solchen abgesehen und die Haftentlassung verfügt. Gegen einen derartigen Entscheid steht der Staatsanwaltschaft seit der jüngsten Revision der StPO und der damit einhergehenden Rechtsprechung kein Beschwerderecht offen (BGE 149 IV 135). Entgegen dem Dafürhalten der Staatsanwaltschaft liegt insoweit keine Gesetzeslücke vor, da es dem Bezirksgericht von Gesetzes wegen offengestanden wäre, die Sicherheitshaft im Hinblick auf das Berufungsverfahren zu verlängern (Art. 231 Abs. 1 StPO). 

Die Auffassung der Vorinstanz, es liege kein Fall von Art. 231 Abs. 2 lit. b StPO vor und ihre damit implizierte Folgerung, die Staatsanwaltschaft verfüge über kein rechtlich geschütztes Interesse, die Fortsetzung der Sicherheitshaft zu beantragen, ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden (E. 3.3, Hervorhebungen durch mich). 

Wäre ja wohl ein zu publizierender Grundsatzentscheid, aber das Bundegericht hat das in Dreierbesetzung erledigt.