Zur Genehmigung von Zufallsfunden
Zufallsfunde, die bei geheimen Überwachungsmassnahmen entdeckt werden, sind nach Massgabe von Art. 278 StPO richterlich zu genehmigen. Die Staatsanwaltschaft hat in Bezug auf die Zufallsfunde unverzüglich die Überwachung anzuordnen und das Genehmigungsverfahren einzuleiten (Art. 278 Abs. 3 StPO), letzteres nach Art. 274 Abs. 1 StPO innert 24 Stunden. Diese Frist hat die Staatsanwaltschaft gemäss einem aktuellen Bundesgerichtsentscheid um zwei Jahre verpasst (BGer 7B_44/2024 vom 14.07.2025):
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft das Genehmigungsverfahren erst rund zwei Jahre nach Kenntnisnahme der Zufallsfunde eingeleitet hat. Die Staatsanwaltschaft hat demnach im vorliegenden Fall – wie die Beschwerdeführerin zu Recht moniert – die Vorgabe von Art. 278 Abs. 3 StPO, wonach die Überwachung „unverzüglich“ anzuordnen und innert 24 Stunden das Genehmigungsverfahren einzuleiten ist (vgl. Art. 274 Abs. 1 StPO), offensichtlich nicht eingehalten (E. 4.2).
Damit stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge. Nach Bundesgericht kommt es auf die Wahrung der gesetzlichen Fristen gar nicht an:
Dies führt indes – entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin – nicht unmittelbar zur Unverwertbarkeit der verfahrensgegenständlichen Zufallsfunde. Es ist nach dem Gesagten (…) vielmehr zu prüfen, ob Art. 278 Abs. 3 StPO in der vorliegenden Konstellation eine Ordnungs- oder eine Gültigkeitsvorschrift darstellt. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, ob die Zufallsfunde vor ihrer Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht bereits verwendet wurden oder nicht (E. 4.3).
Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer nicht belegen, dass die Zufallsfunde vor ihrer Genehmigung verwertet wurden. Deshalb waren die Zufallsfunde verwertbar.
Bei den gesetzlichen Fristen handelt es sich eigentlich weder um Gültigkeitsfristen noch um Ordnungsfristen, weil es gemäss Bundesgericht ausschliesslich darauf ankommt, dass die Zufallsfunde erst ihrer Genehmigung verwertet werden dürfen (was übrigens kaum je belegbar ist). Die Fristen sind schlicht und einfach unbeachtlich. Sie kommen nie zum Tragen. Der Gesetzgeber hat sie aus blossem Spass an der Freud ins Gesetz geschrieben.
Von BBl 2013 2683 | Botschaft zum Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)
Ich glaube der Gesetzgeber wollte, dass solche Beweise vernichtet werden, somit unverwertbar sind.
Zum Urteil
Damit gibt das BGer der Staatsanwaltschaft eine weitere Methodik, namentlich können sie jetzt „Zufallsfunde“ zurückhalten, solange sie nicht im Verfahren verwendet werden (weil dann gehören sie ja nicht zum Verfahren, duuh). Beweisen, dass es im Verfahren verwendet wurde, ist natürlich unmöglich (z.B. intern/kognitiv verwendet um weitere Beweise zu suchen; Schlussfolgerungen zu ziehen etc.).
Legalitätsprinzip war gestern… Der Gesetzgeber erachtete eine „unverzügliche“ und „innert 24 Stunden“ Genehmigung/Kontrolle als grundrechtlich notwendig. Das BGer hölte diese Fristen aus aka. schafft sich selbst eine Gesetzeslücke.
Ich plädiere fürs strukturierte Sammeln der Rechtsverstösse, der Namen, Punktebewertung und Veröffentlichung. Und Ende des Kalenderjahres kürt die interessierte Öffentlichkeit die herausragenden Justizpersonen des Jahres. Mit vollständiger Liste, schliesslich garantiert die Verfassung Gleichbehandlung – und das schafft eine gewisse Transparenz.
Die Gewinner werden dann gebührend gefeiert: U.a. mit – natürlich ebenfalls öffentlichen – Massengesuchen um zeitnahe ausserordentliche Amtsenthebung und damit zusammenhängenden weiteren Anzeigen, Anträgen …
Ich glaube, das wäre zwischenzeitlich die einzige Lösung, die auch wirklich etwas bringen würde. Denn egal wie viele Fehler gemacht werden, es hat nie Konsequenzen für die Person, immer nur für den Beschuldigten.
Das geht nur über den Weg der Öffentlichkeit.
Work in progress… Soon
Gesetze? Wo wir richten, brauchen wir keine Gesetze!
Wann beginnt eigentlich die Beschwerdefrist zu laufen? Mit der inhaltlosen Mitteilung oder bei der in der Folge geforderten Zustellung der unerfreulichen Entscheidungen des ZMG?
Muss formell mit Rechtsbelehrung eröffnet werden.
Die Beschwerdefrist beginnt grundsätzlich mit der Zustellung der offiziellen Mitteilung der Staatsanwaltschaft. Eine solche Mitteilung muss gemäss Art. 279 Abs. 1 StPO zwingend den Grund, die Art und die Dauer der Überwachungsmassnahme enthalten sowie sinnvollerweise eine Rechtsmittelbelehrung beinhalten.
Sollte der höchst unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die Staatsanwaltschaft eine solche Mitteilung vor dem Entscheid des ZMG zustellt, so sollte aus anwaltlicher Vorsicht trotzdem Beschwerde erhoben werden, um keine Fristen zu verpassen. In der Beschwerde würde man dann das Fehlen der ZMG-Genehmigung rügen, allenfalls auch die „Inhaltsleere“.
Sowieso ist ein ZMG-Entscheid Grundvoraussetzung. Wie Sie wissen: Ein Beweis, der aus einem Zufallsfund oder einer genehmigungspflichtigen Überwachung stammt, ist ohne rechtskräftige Genehmigung des ZMG absolut unverwertbar.
Das BGer hat sich übrigens auch zu dem umgekehrten Fall des hier behandelten BGE geäussert und stellt in BGE 7B_91/2024 / 7B_92/2024, E. 5.2.2, unmissverständlich klar: Wird ein Zufallsfund im Verfahren zu Lasten des Beschuldigten bereits verwendet, ohne dass die erforderliche Genehmigung des ZMG eingeholt wurde, sind die daraus gewonnenen Erkenntnisse unverwertbar. Auch in diesen Fällen leitete die Staatsanwaltschaft das Genehmigungsverfahren erst Monate später ein.
Seit wann interessiert sich das BGer für die richtige Rechtsanwendung?
Wenn der Gesetzgeber explizit Fristen ins Gesetz aufnimmt, dann wollte er wohl, dass diese eingehalten müssen…. Hier überhaupt mit Ordnungsvoschriften zu argumentieren ist absurd und zeigt, dass das oberste Gericht lieber Recht schafft, als demokratisch zustandegekommenes Recht anwendet. Bravo!
Und wo es nicht in die Eigenen Moralvorstellungen oder den Willen passt sich hinter dem Gegenteil versteckt….damit landen wir bei vollendeter Willkür
Genau so ist es!
Hier ein ähnlicher Fall https://www.strafprozess.ch/ordnungsvorschriften-und-ordnungsfristen/
Fazit, selbst wenn der Zufallsfund bereits verwendet wurde, ergo die Sta. die Frist für das Gesuch verpasste, ist alles noch OK (gemäss BGer), solange das ZMG es genehmigt.
Art. 140 Abs. 2: „Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.“
Abs. 3: „Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar.“
Der Gesetzgeber hat es sich einfach gemacht und die Qualifikation der Fristen den Gerichten überlassen. Ob das Bundesgericht diese Aufgabe „richtig“ löst, ist dann natürlich diskutabel.
Nun ist es unheimlich Praktisch das alle Auflagen die die Sta hat, Ordnungsvorschriften sind und alle Auflagen die die beschuldigte Person hat Verwirkungsvorschriften
Hat irgendjemand der Kommentierenden den hier relevanten Art. 278 StPO überhaupt gelesen gewschweige denn dessen Absatz 3 überhaupt verstanden? Weiss jemand, was „verwenden“ heisst?
@Maw
Ja, haben wir alle? Zumindest, wenn ich es getan habe, nehme ich an, dass es auch die Profis getan haben.
Der Artikel (Art. 278 StPO) besagt klar, dass die Staatsanwaltschaft bei einem Zufallsfund „unverzüglich“ die Überwachung anordnen und das Genehmigungsverfahren einleiten muss. In Verbindung mit Art. 274 Abs. 1 StPO bedeutet das: innert 24 Stunden.
Unser Frust entsteht nicht aus Unkenntnis dieser Regel, sondern weil das Bundesgericht in seinem Urteil (BGer 7B_44/2024) entschieden hat, dass eine massive Missachtung dieser Frist – über 2 Jahre (!) – folgenlos bleiben kann. Die Kritik richtet sich also nicht gegen das Gesetz, sondern gegen die richterliche Praxis, die eine klare gesetzliche Frist zur reinen Formsache degradiert.
Was bedeutet „verwenden“ hier?
Wie ich schon in einem vorherigen Kommentar geschrieben habe, liegt genau hier das „Hauptproblem“ bzw. das „Anders-Verstehen“:
Das BGer legt es zu eng aus und scheint „verwenden“ primär als formelle Verwendung in den Akten zu verstehen z.B. Beweisantrag in einer Einvernahme/Anklageschrift aka. „Fakten schaffen“ = Bindendes Sachverhalt schaffen.
Die Praxis (aka. praktische Realität) ist aber, dass der „Zufallsfund* schon viel früher „verwendet“ wird, nämlich kognitiv und strategisch durch die Ermittler, da der Informationsgewinn ihn dazu verleitet:
– Ermittlungen in eine bestimmte Richtung zu lenken
– Suche nach weiteren Beweisen dient
– Wahrnehmung und Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft prägt
Abgesehen davon, kann man sich dagegen auch nicht verteidigen (Waffengleichkeit; Faires Verfahren als Beschuldigter). Wie soll ein Beschuldigter nachweisen, dass ein Staatsanwalt eine Information, die er seit zwei Jahren kennt, nicht zumindest unbewusst in seine Ermittlungsstrategie hat einfliessen lassen? Ein solcher Nachweis (Beweislast) ist praktisch unmöglich zu erbringen.
Abgesehen davon, wenn man sich die Diskussionen und Kommentare der Gesetzgeber durchliest z.B. zum Einführungsgesetz (~2011 Erneuerung der StPO) und Fallanwendungen davon (z.B. BBl 2013 2683 | Botschaft zum Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF)),
dann erkennt man sofort, dass der Wille vom Gesetzgeber eindeutig war, namentlich, ist es eine Gültigkeitsvorschrift. Der Gesetzgeber wollte mit den Fristen eine schnelle richterliche Kontrolle garantieren. Ansonsten läuft man Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft zu einer Art Intelligence Service (Geheimdienst) wird, welche die Bürger ausspioniert und von den Informationen (Intelligence) gebrauch macht, sobald es gebraucht wird. Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus. Das Bundesgericht sagt, die Kontrolle sei wichtiger als ihre Schnelligkeit, solange keine Fakten geschaffen werden (=formell im Verfahren), ABER bei Informationsgewinn werden immer Fakten geschaffen (zumindest kognitive Vorbereitung).
Das ist dann aber ein Problem der Chirurgie. Der Behörde werden also aus einer Überwachung weitere Straftaten „bekannt“. Wenn dafür nicht unverzüglich eine richterliche Genehmigung erwirkt wird, muss das Wissen auch aus den Köpfen der an der Überwachung beteiligten Personen gelöscht und vernichtet werden. Nur weil das Papier/Tonband vernichtet ist, ist es doch nicht aus dem Kopf, oder übersehe ich was? Es sind doch dieselben Personen, die an der bestehenden, genehmigten Überwachung mitarbeiten, die auch diese Kenntnis erlangen. Und wie will man denen dieses Wissen aus dem Kopf schneiden?
@Maw
Siehe dazu „Früchte des vergifteten Baumes“ bzw. Entscheid vom 11. Dezember 1939, Nardone gegen USA
https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BCchte_des_vergifteten_Baumes
Wir sind uns ja einig, dass man die Strafverfolgung nicht „vergessen machen“ kann („Chirurgie“), sondern, solche Beweise sollten – wie eigentlich vom Gesetzgeber vorgesehen – unverwertbar sein, egal wie gut sich der Staatsanwaltschaft daran erinnert – sie verbleiben quasi ungehört.
Side-Note: Selbst wenn sie unverwertbar gelten sollten, wie will man beweisen, dass einige Beweise (Früchte) nicht von eigentlich unverwertbaren Beweisen („vergifteter Baum“) abstammen? Der Staatsanwalt ist (hoffentlich) schlau genug dies nicht anzugeben.