Gebotene amtliche Verteidigung

Wann eine amtliche Verteidigung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO geboten ist, ist nicht immer leicht zu beantworten. Man kommt oft nicht umhin, die bundesgerichtliche Rechtsprechung dazu zu analysieren.

Ein heute publiziertes Urteil kann für die Praxis wertvolle Anhaltspunkte liefern (BGer 1B_167/2016 vom 01.07.2016):

Die einzelnen dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Delikte sind zwar einfach gelagert. Indessen ist in Betracht zu ziehen, dass es sich um eine Mehrzahl von Tatvorwürfen handelt, was bereits eine nicht unerhebliche Komplexität darstellt (Urteil 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 2.5, in: Plädoyer 2015/6 S. 69). Auch war zumindest im Zeitpunkt des ersten Gesuchs um amtliche Verteidigung davon auszugehen, dass sich einige heikle Beweisfragen stellen würden. Dies betrifft insbesondere das Dossier 1, wo es um einen Nachbarschaftsstreit geht, welcher zu einer Pfeffersprayattacke sowie Handgreiflichkeiten mit einer leichten Verletzung geführt haben soll. Hinzu kommt, dass die geschädigte Person im Dossier 2 anwaltlich vertreten ist, was aus Gründen der Waffengleichheit dafür spricht, dem Beschuldigten eine amtliche Verteidigung beizugeben (Urteil 1B_224/2013 vom 27. August 2013 E. 2.3 und 3 mit Hinweisen). Schliesslich sind gemäss den Ausführungen der Vorinstanz in Bezug auf ein von der Staatsanwaltschaft Baden geführtes Strafverfahren (retrospektive) konkurrenzrechtliche Probleme nicht ausgeschlossen. Aus dem Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten bei Erlass eines Strafbefehls diese von Amtes wegen berücksichtigen müsse, kann nicht abgeleitet werden, der Beschuldigte brauche keinen Anwalt (Urteil 1B_66/2015 vom 12. August 2015 E. 2.5, in: Plädoyer 2015/6 S. 69) [E. 3.6].

Massgebend ist somit offenbar die Situation im Stadium des (ersten) Gesuchs um amtliche Verteidigung. Formelle (Beweisfragen), materielle (Konkurrenz) und verfassungsrechtliche (Waffengleichheit) Schwierigkeiten können auch im Bagatellbereich eine amtliche Verteidigung als geboten erscheinen lassen.