Anspruch auf persönliche Konfrontation

Das Bundesgericht kassiert ein Urteil, mit dem ein Arzt wegen Schändung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wurde (BGer 6B_324/2011 vom 26.10.2011). Als einziges Beweismittel dienten der Vorinstanz die bestrittenen Aussagen des Opfers. Der Arzt machte geltend,

[e]r sei nie direkt oder indirekt mit Y. (Beschwerdegegnerin 2) konfrontiert worden, obwohl deren Angaben zum Kerngeschehen widersprüchlich seien. Er wolle sich ein eigenes Bild über die Schilderung der Hauptbelastungszeugin machen. Denn darauf stütze sich der Schuldspruch. Es genüge nicht, dass sein Verteidiger den Einvernahmen habe beiwohnen und ihn orientieren können (E. 1.1).

Das Bundesgericht stimmt zu und verweist zunächst auf die Regel:

Im Regelfall ist das Fragerecht dem Beschuldigten und seinem Verteidiger gemeinsam einzuräumen. Die Mitwirkung des Beschuldigten kann für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen entscheidend sein, insbesondere wenn dieser über Vorgänge berichtet, an welchen beide beteiligt waren (Urteil 6B_45/2008 vom 2. Juni 2008 E. 2.4) (E. 1.2, Hervorhebungen durch mich).

Im konkreten Einzelfall stellt das Bundesgericht fest:

Der Beschwerdeführer erhielt während des gesamten Verfahrens nie Gelegenheit, den Einvernahmen wenigstens einmal direkt oder indirekt zu folgen. Dadurch konnte er weder den präzisen Wortlaut, die Reaktion, den Gesichtsausdruck noch die Körpersprache der Beschwerdegegnerin 2 wahrnehmen. Er durfte auch keine unmittelbaren Fragen an sie richten. Das sind Einschränkungen von grossem Gewicht (vgl. BGE 125 I 127 E. 8d S. 149 f. mit Hinweisen) (E. 1.3).

Die Opferrechte standen einer Konfrontation ebenfalls nicht entgegen:

Die Beschwerdegegnerin 2 hat im kantonalen Verfahren ein Arztzeugnis eingereicht, wonach ein Zusammentreffen mit dem Beschwerdeführer eine grosse psychische Belastung darstelle. Dennoch sind keine Gründe ersichtlich, die zumindest einer indirekten Konfrontation entgegenstehen. Den Opferrechten der Beschwerdegegnerin 2 kann z.B. mittels Videoübertragung in einen anderen Raum hinreichend Rechnung getragen werden. Jedenfalls macht sie nicht geltend, dass ihr die Präsenz des Beschwerdeführers in einem anderen Raum desselben Gebäudes Angst einflössen würde. Auch wenn jeder sexuelle Missbrauch gravierend ist, stehen vorliegend im vergleichsweise grossen Spektrum möglicher Sexualstraftaten nicht die schwersten Vorwürfe, sondern Berührungen am Po und an den Schamlippen anlässlich einer einmaligen Therapiesitzung zur Diskussion. Kein Grund für die unterbliebene indirekte Konfrontation bildet die mangelnde technische Infrastruktur. Fehlt die notwendige Installation im Gerichtsgebäude, muss die Einvernahme in geeignete Räumlichkeiten verlegt werden (vgl. Urteil 6P.46/2000 vom 10. April 2001 E. 1c/bb am Ende) (E. 1.3).

Für die Glaubhaftigkeit des Opfers stellte die Vorinstanz auf eine ebenfalls nicht konfrontierte Zeugenaussage ab. Auch dies war nicht zulässig:

Die Vorinstanz hält fest, dass die erstinstanzliche Verurteilung des Beschwerdeführers keineswegs aufgrund der Angaben von A., sondern allein gestützt auf die als sehr glaubhaft eingestuften Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 erfolgte. Gleichwohl zieht sie die Aussage von A. heran, in dem sie darauf hinweist, dass deren geschilderten Erfahrungen (nächstens) ein weiteres Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 darstellen. Damit berücksichtigt die Vorinstanz die belastende Aussage einer Zeugin, die mit dem Beschwerdeführer nie konfrontiert wurde. Dessen Rüge, sein Fragerecht sei verletzt worden, erweist sich als begründet (E. 2.2).

Ob die nun durchzuführenden Konfrontationen am Schuldspruch etwas ändern werden, wird sich zeigen. Sofern das Opfer nicht völlig anders aussagen wird, wird es wohl dabei bleiben. Angesichts der Unschuldsvermutung ist aber eigentlich unvorstellbar, dass eine Aussage als Beweis reicht. Eine Aussage kann nach meinem Verständnis nie reichen, vernünftige Zweifel an der Tat auszuschliessen. Richter scheinen aber anders zu denken.