Das Ende von “Electronic Monitoring”

In den Kantonen, die den Vollzugsform des “Electronic Monitoring EM” kennen, gingen Gerichte, Staatsanwälte und Verteidiger davon aus, dass der unbedingte Teil überjähriger Freiheitsstrafen in dieser Form vollzogen werden könne. Entsprechend wurden abgekürzte Verfahren erledigt und auch in Gerichtsurteilen war immer wieder zu lesen, dass der unbedingte Teil mit EM vollzogen werden könne. So wurde insbesondere erwerbstätigen Familienvätern ermöglicht, die Arbeitsstelle zu behalten und die Familie nicht der Sozialhilfe auszusetzen.

Dem macht das Bundesgericht in Dreierbesetzung ein Ende, indem es in der Justizvollzugsverordnung des Kantons Solothurn eine bundesrechtswidrige Bestimmung erkennt (BGer 6B_1253/2015 vom 17.03.2016).

Zuerst öffnet es sich die Kognition:

Vorliegend würde das solothurnische Recht gemäss § 16 Abs. 3 Satz 3 JUVV den EM-Vollzug des unbedingt ausgesprochenen Teils der Freiheitsstrafe zulassen. Es fragt sich indessen, ob die Bestimmung mit übergeordnetem Recht vereinbar ist. Während das Bundesgericht die Anwendung kantonalen Rechts unter dem Gesichtspunkt von Willkür prüft (vgl. BGE 141 IV 349 E. 3), beurteilt es eine Bundesrechtswidrigkeit der Vollzugsverordnung frei (E. 2.5).

Dann umschifft es die Zuständigkeit der Kantone für den Strafvollzug:

Für den Strafvollzug sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht; der Bund kann Vorschriften erlassen (Art. 123 Abs. 2 und 3 BV). Solche Vorschriften hat der Bundesrat gestützt auf Art. 387 Abs. 4 StGB (bzw. aArt. 397bis Abs. 4 StGB) im erwähnten BRB erlassen (…).
§ 16 Abs. 3 Satz 3 JUVV kann sich offenkundig weder auf Ziff. 1 lit. a BRB (Freiheitsstrafe bis höchstens 1 Jahr) noch auf Ziff. 1 lit. b BRB (bei langen Freiheitsstrafen an Stelle des Arbeitsexternats, d.h. als zusätzliche Vollzugsstufe vor der bedingten Entlassung; BBl 2012 4739 und 4748) stützen. Bei den vollziehbaren 9 Monaten der 27-monatigen Freiheitsstrafe handelt es sich sodann weder um eine “kurze Freiheitsstrafe” noch um eine “lange Freiheitsstrafe am Ende der Strafe” im Sinne von § 16 Abs. 2 lit. a und b JUVV (oben E. 2.3) [E. 2.5].

Und am Schluss stellt es übergeordnetes Recht  her und aberkennt dem EM die Natur der blossen Vollzugsform;

Massgebend ist das vom Gericht “ausgesprochene Strafmass” (BBl 2012 4748; “la durée de la peine prononcée”, FF 2012 4411), wie dies § 16 Abs. 3 Satz 1 JUVV zutreffend statuiert. § 16 Abs. 3 Satz 3 JUVV verletzt die im BRB bewilligte und gestattete Strafmassobergrenze (und steht im Gegensatz zu § 16 Abs. 2 lit. a und b JUVV).

§ 16 Abs. 3 Satz 3 JUVV ist mit Wortlaut, Sinn und Zweck des “übergeordneten Rechts” (§ 15 Abs. 1 JUVV) nicht vereinbar und verletzt Bundesrecht. Weil die ausgesprochene Strafe (ab initio) massgebend ist, in casu die 27 Monate, ist der EM-Vollzug des “unbedingt zu vollziehenden Teils” (Art. 43 Abs. 2 und 3 StGB), in casu 9 Monate, ausgeschlossen (ebenso FERREIRA BROQUET, a.a.O., S. 65, Rz. 122). Gegen einen EM-Vollzug spricht überdies der Zweck der mit dem teilbedingten Vollzug angestrebten Spezialprävention, der seine Schranke im gesetzlichen Erfordernis findet, dass angesichts der Schwere des Verschuldens wenigstens ein Teil der Strafe vollzogen wird (BGE 134 IV 1 E. 5.5.1 S. 11). Andernfalls stünde der EM-Vollzug sogar für schwere Delikte offen, sofern nur die zu verbüssende Reststrafe nicht mehr als ein Jahr betragen würde (BBl 2012 4748). Das widerspräche dem Willen des Gesetzgebers (E. 2.6, Hervorhebungen durch mich).

Damit ist EM bei teilbedingten Freiheitsstrafen nur noch möglich, wenn die Freiheeitsstrafe genau ein Jahr beträgt. Ob das bedacht wurde?