Dauerbrenner Anklageprinzip

Das Bundesgericht bestätigt ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau und verwirft. u.a. die Rüge des Beschwerdeführers, das Anklageprinzip sei verletzt (BGer 6B_254/2015 vom 27.08.2015).

Die Erwägungen des Bundesgerichts sind insofern bemerkenswert, als sie die Maxime praktisch auf den Sachverhalt reduzieren und abweichende rechtliche Würdigungen vorbehaltlos zuzulassen scheinen:

Die Rügen des Beschwerdeführers gehen an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer verkennt, dass die in der Anklage gestellten Anträge im Hinblick auf den Schuldspruch nicht massgebend sind. Zwar bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens, dies bedeutet jedoch nur, dass das Gericht an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden ist, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung (vgl. Art. 350 Abs. 1 StPO; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f.; 120 IV 348 E. 2b; Niklaus Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1333 S. 598). Die rechtliche Würdigung des durch die Anklageschrift bestimmten Prozessgegenstandes ist ausschliesslich Aufgabe des Gerichts und kann nicht durch die Parteien vorbestimmt oder eingeschränkt werden (Sarah Wildi, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 337 StPO), weshalb das Gericht von den Anträgen der Staatsanwaltschaft – ebenso wie von denjenigen der beschuldigten Person oder der Privatklägerschaft – abweichen kann. Zudem übersieht der Beschwerdeführer, dass die Staatsanwaltschaft entgegen seinem Vorbringen bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eventualiter eine Verurteilung wegen Nötigung beantragt hat und sie jederzeit ihre in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Würdigung oder die darin gestellten Anträge ändern kann (Art. 337 Abs. 2 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO). Dies stellt keine Änderung oder Erweiterung der Anklage im Sinne von Art. 333 StPO dar (E. 3.1, Hervorhebungen durch mich).

Langsam wäre wieder einmal ein Grundsatzentscheid fällig, denn es wird je länger je unklarer, was nun eigentlich gelten soll. Vielleicht hat der Beschwerdeführer auch einfach die falschen Rügen vorgetragen, aber vollkommen frei ist der Richter ja in der rechtlichen Würdigung nicht.