Keine freie Einsicht in noch nicht rechtskräftige Strafbefehle
Unter diesem Titel hat das Bundesgericht eine Medienmitteilung zu einem neuen Grundsatzentscheid publiziert (BGE 7B_631/2023 vom 18.09.2025, Publikation in der AS vorgesehen).
Anlass zum Entscheid gab eine Frau, die von der Staatsanwaltschaft GE mit einem Strafbefehl belegt wurde und daraufhin nach Einsprache beantragte, dieser sei Dritten (insb. Journalisten) nicht zugänglich zu machen. Die Strafbehörden des Kantons GE verwiesen auf Art. 69 StPO und entsprachen dem Gesuch nicht.
Das Bundesgericht ist anderer Meinung und stützt sich auf Art. 101 StPO. Aus der Medienmitteilung:
Strafbefehle, die noch nicht rechtskräftig sind, weil dagegen noch Einsprache erhoben werden kann oder Einsprache erhoben wurde, unterliegen nicht Artikel 69 StPO, sondern den Vorschriften
über die Einsicht in die Strafakte, insbesondere Artikel 101 StPO. Gemäss dieser Bestimmung können Dritte Akten einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein anderes schützenswertes Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Bezüglich der Einsichtsgewährung in einen Strafbefehl nach Artikel 69 StPO darf die Staatsanwaltschaft im Prinzip davon ausgehen, dass dieser vier Tage nach ungenutztem Ablauf der Einsprachefrist unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist.
Diese zutreffende Interpretation wird im Kanton Zürich seit Inkrafttreten der StPO (1.1.2011) umgesetzt (WOSTA Ziff. 8.4.1):
Nach Feststellung der Rechtskraft können interessierte Personen (nach telefonischer Anmeldung) während dreissig Tagen auf den Amtsstellen der
Staatsanwaltschaften unter Aufsicht kostenlos Einsicht in von ihnen bezeichnete Strafbefehle nehmen.
@Methodist: So muss es wohl auch sein, aber das Thema kann mit guten Gründen schon kontrovers diskutiert werden. Als Verteidiger bin ich im Strafbefehlsverfahren gegen jede Öffentlichkeit. Als Staatsbürger sind mir die WOSTA eher zu restriktiv.