Mehr Spielraum bei Untersuchungshaft
Nach dem Nationalrat hat heute auch der Ständerat eine Fraktionsmotion (FDP-Liberale Fraktion) angenommen, welche eine neuerliche Änderung der StPO verfolgt. Ziel ist gemäss Pressemitteilung
Mehr Sicherheit dank mehr Spielraum bei Untersuchungs- und Sicherheitshaft
Das soll durch eine neue Formulierung von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO erreicht werden:
Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c der Strafprozessordnung soll so geändert werden, dass Untersuchungs- und Sicherheitshaft zulässig sind, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet. Die Voraussetzung eines effektiv erfolgten Rückfalls soll fallengelassen werden.
Der Bundesrat hatte die Annahme empfohlen, aber darauf hingewiesen, dass das Bundesgericht den Gesetzestext ja bereits abgeändert hat. Hier seine Stellungnahme:
Das Bundesgericht ist im Jahre 2011 aufgrund einer Auslegung von Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c der Strafprozessordnung (StPO) zum Schluss gekommen, dass eine Untersuchungshaft (oder Sicherheitshaft) wegen Wiederholungsgefahr selbst beim Fehlen früherer gleichartiger Straftaten rechtmässig ist, sofern schwere Verbrechen oder Vergehen und eine ernsthafte und konkrete Gefahr für mögliche Opfer vorliegen. Gemäss dem Bundesgericht würden mit jeder anderen Lösung weitere mögliche Opfer in unverantwortlicher Weise Risiken ausgesetzt (BGE 137 IV 13). Das Bundesgericht hat diese Auslegung seither in diversen Urteilen bestätigt, und die Rechtsprechung kann nunmehr als gefestigt angesehen werden.
Dies hat zur Folge, dass der Wortlaut von Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c StPO nicht mehr der Praxis entspricht. Er ist deshalb – im Sinne der Motion – anzupassen. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass für eine solche punktuelle Änderung der StPO aufgrund der Rechtsprechung keine zeitliche Dringlichkeit besteht. Die Anpassung des Wortlauts von Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c StPO ist vielmehr zu gegebener Zeit im Zuge einer umfassenderen Revision vorzunehmen.
In der Praxis schrauben die Behörden übrigens primär bereits an der ernsthaften Gefährdung der Sicherheit anderer. Ich finde, auch dieses Gefährdungserfordernis sollte man redlicherweise aufgeben.
Es ist schon erstaundlich, wie oft sich das Parlament der (gewissermassen rechtswidrigen) bundesgerichtlichen Rechtsprechung anpasst bzw. Gesetze entsprechend ändert. Es versagen insofern meines Erachtens beide Instanzen.
Im Falle einer allfälligen Anpassung könnte dann zumindest auch der Wortlaut von „schwere Verbrechen oder Vergehen“ noch in die korrekte Form von „Verbrechen oder schwere Vergehen“ abgeändert werden… 😉
Und wenn wir schon dabei sind: einen dringenden Tatverdacht zu verlangen, erscheint mir auch übertrieben. Praxisgemäss reicht ja ein diffuser Anfangsverdacht. Also bitte „dringend“ streichen oder durch „hinreichend“ ersetzen.