Privatsphäre beim eMail-Provider
Ein Appellationsgericht in den USA hat sich für den verfassungsmässigen Schutz von eMails unter dem vierten Verfassungszusatz ausgesprochen mit der Folge, dass die Strafverfolger ohne Durchsuchungsbefehl oder ohne vorherige Anhörung des Betroffenen beim Provider keinen Zugriff auf gespeicherte eMails haben (United States Court of Appeals for the Sixth Circuit, Warshak v. U.S. Urteil vom 18.05.2007). Ein Bundesgesetz, welches die hohen Anforderungen an die Beschränkung verfassungsmässiger Rechte nicht bzw. nur teilweise berücksichtigte, wurde als verfassungswidrig qualifiziert
Das Urteil rechtsvergleichend zu kommentieren ist nicht ganz einfach. Ich beschränke mich darauf, den entscheidenden Ansatz zu zitieren, der sowohl als überraschend wie als überzeugend erscheint. Er stellt darauf ab, welche Erwartungen der Bürger an die Vertraulichkeit seiner eMails hat:
Turning to the instant case, we have little difficulty agreeing with the district court that individuals maintain a reasonable expectation of privacy in e-mails that are stored with, or sent or received through, a commercial ISP. The content of e-mail is something that the user “seeks to preserve as private,” and therefore “may be constitutionally protected.” Katz, 389 U.S. at 351. It goes without saying that like the telephone earlier in our history, e-mail is an ever-increasing mode of private communication, and protecting shared communications through this medium is as important to Fourth Amendment principles today as protecting telephone conversations has been in the past.
Unter diesem Ansatz unterscheidet das Appellationsgericht auch nicht wie hierzulande zwischen laufender Kommunikation und abgeschlossener, gespeicherter Kommunikation:
Two amici curiae convincingly analogize the privacy interest that e-mail users hold in the content of their e-mails to the privacy interest in the content of telephone calls, recognized by the Supreme Court in its line of cases involving government eavesdropping on telephone conversations.
Übersetzt ins schweizerische Recht würde das wohl bedeuten, dass auch gespeicherte eMails auf einer Festplatte oder beim Provider nur nach den Voraussetzungen des BÜPF durchsucht und beschlagnahmt werden dürften. Damit hätten wir wenigstens in diesem Bereich von Zwangsmassnahmen einen Richtervorbehalt.
Quelle: CDT, beteiligt mit amicus brief. für den Appellaten Steven Warshak
Da muss ich widersprechen. Die hiesige Unterscheidung nach abgeschlossenem oder laufendem Fernmeldevorgang besteht einzig wegen der Frage, ob nach BÜPF vorgegangen werden muss oder nicht. Dies weil das BÜPF eine besondere gesetzliche Grundlage mit höheren Anforderungen gegenüber den kantonalen Gesetzen schafft aber eben nur im Post- und Fernmeldeverkehr. Würde man diesen nicht irgendwann für abgeschlossen erklären, würde alles, was irgendwann einmal von der Post befördert wurde, quasi ‚für immer‘ nur unter dem BÜPF sicherzustellen.
Die „reasonable expectation of privacy“ bzw. „open fields“ doctrine regelt viel grundlegender, wann der Staat überhaupt ohne weiteres eingreifen darf. Dies wird eben zugelassen im „open field“ und an die Voraussetzung eines richterlichen Warrants (oder das Einverständnis des Betroffenen) gebunden, wo man eine „reasonable expectation of privacy“ hat.
Da nach dem US-amerikanischen Recht ohnehin grundsätzlich für alle Zwangsmassnahmen Warrants nötig sind, müsste man meines Erachtens den Entscheid wenn schon eher so „übersetzen“, dass zur Sicherstellung von eMails auf Festplatten des Providers das Einverständnis des Providers nicht ausreicht, sondern eine eigentliche Massnahmenverfügung nötig ist (Durchsuchung, Edition, Beschlagnahme), mit entsprechender gesetzlicher Grundlage. Das ist soweit für unser Rechtsverständnis wohl nichts Neues.
Neu wäre dabei allenfalls, dass aufgrund der „reasonable expectation of privacy“ des Betroffenen eine solche Verfügung nicht nur dem Provider, sondern eben auch dem betroffenenen Beschuldigten zuzustellen wäre. Auch das ist vielerorts bei konsequenter interpretation der Prozessrechte bereits (theoretische) juristische Realität, wird aber meiner Erfahrung nach kaum praktiziert.
Der Betroffene hätte dann allerdings wohl ohnehin nur das Recht, die einstweilige Siegelung der Datenträger zu verlangen (soweit kantonalrechtlich vorgesehen), immerhin wäre dadurch aber die richterliche Überprüfung einer ansonsten der Überprüfung nicht (oder nicht im gleichen Masse) zugänglichen Zwangsmassnahme zu erzwingen.
Das Siegelungsrecht wiederum dürfte nach BÜPF wohl eher eine Nebenrolle spielen, wenn überhaupt. Da bestünde ja bereits ein eigentlicher Richtervorbehalt bei der Massnahme selbst.
Danke für den Widerspruch und die Erläuterungen, denen ich jedenfalls für das geltende Recht zustimme. Mich überzeugt die hierzulande herrschende Abgrenzung zwischen laufender und abgeschlossener Kommunikation (und damit der Anwendbarkeit des BÜPF mit Richtervorbehalt bzw. der strafprozessualen Zwangsmassnahmen ohne Richtervorbehalt) nicht. Das ganze Zwangsmassnahmenrecht und insbesondere das BÜPF sind m.E. nur ungenüngend dogmatisch durchdrungen. Die herkömmlichen Kriterien der Schwere des Eingriffs in die Privatsphäre und der Heimlichkeit der Zwangsmassnahme reichen nicht und führen aus der Sicht des Grundrechtsschutzes zu sachlich nicht gerechtfertigten „praktischen“ Lösungen. Wieso beispielsweise der ungeöffnete Brief in meinem Briefkasten anders zu behandeln ist als der Brief, der sich noch in der Mappe meines Briefträgers befindet, sehe ich nicht ein. Hier könnte ein Blick über den Atlantik wertvolle Hinweise liefern.