Sozialschädlichkeit als Haftgrund

Das Bundesgericht bestätigt die Haft eines mutmasslichen Diebes, der selbst nach mehreren Verhaftungen immer wieder in (nicht abgeschlossene) Autos eingebrochen sein soll und Wertgegenstände gestohlen haben soll. Der Deliktsbetrag belief sich gemäss erstinstanzlichem Urteil auf CHF 150.00. Dafür kriegte er 10 Monate wegen gewerbsmässigen Diebstahls (Beschaffungskriminalität eines drogenabhängigen Sozialhilfebezügers). Im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (mangels Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gilt das Verschlechterungsverbot) wird er 9/10 davon verbüsst haben. Das Bundesgericht bezeichnet den Fall als Grenzfall (BGer 1B_159/2013vom 06.05.2013), hält die Haft aber nicht für bundesrechtswidrig. Aus der Begründung:

Spezialprävention als Haftgrund:

Die Inhaftierung wegen Wiederholungsgefahr kommt nicht nur bei ernsthaft zu befürchtenden Delikten gegen Leib und Leben in Betracht, sondern namentlich auch bei schweren Vermögensdelikten wie gewerbsmässigem Betrug und Serienbetrug (Urteile 1B_497/2012 vom 3. Oktober 2012 E. 2.1; 1B_379/2011 vom 2. August 2011 E. 2.8 f.) [E. 2].

Schweres Vermögensdelikt bei Deliktsbetrag von CHF 150.00:

Ob das Vorgehen des Beschwerdeführers als gewerbsmässig einzustufen ist und damit den qualifizierten Tatbestand von Art. 139 Ziff. 2 StGB erfüllt oder “bloss” als einfacher Diebstahl im Sinn von Art. 139 Ziff. 1 StGB strafbar ist, wird im Berufungsverfahren abschliessend zu klären sein. Immerhin ist nach dem erstinstanzlichen Urteil davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sein Auskommen aufbessern wollte, indem er immer wieder Parkplätze systematisch nach unverschlossenen Autos absuchte, um nach Bargeld und Wertgegenständen zu suchen und sie zu stehlen. Er war dabei zwar nicht sehr erfolgreich, was indessen nur daran liegt, dass er zufällig weder grössere Geldbeträge noch teure Wertgegenstände fand. Insgesamt erscheint das Vorgehen des Beschwerdeführers als typische Beschaffungskriminalität, die in nicht unerheblichem Mass sozialschädlich ist. Nachdem sich der Beschwerdeführer zudem völlig uneinsichtig zeigte und sich auch von wiederholten Verhaftungen nicht davon abhalten liess, unbeirrt weiter zu delinquieren, steht ernsthaft zu befürchten, dass er nach einer allfälligen Entlassung weiterhin versuchen würde, sein Einkommen durch Diebstähle aufzubessern. Da keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass er ernsthaft versucht, seine Lebensführung entscheidend zu ändern, muss ihm diesbezüglich eine sehr ungünstige Rückfallprognose gestellt werden (E. 3.2).

Überhaft?

Bei einer Verlängerung der Sicherheitshaft bis zur Berufungsverhandlung vom 25. Juni 2013 werden noch 2 Monate dazukommen, sodass er dannzumal rund 9/10 seiner erstinstanzlichen Strafe verbüsst haben wird. Das erscheint unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nicht ganz unproblematisch, zumal die Staatsanwaltschaft keine Anschlussberufung erhoben hat und damit eine Verschärfung der Strafe aufgrund des Verschlechterungsverbots ausser Betracht fällt. Allerdings steht nach dem Gesagten zu befürchten, dass der Beschwerdeführer nach einer allfälligen Entlassung umgehend in seine schlechten Gewohnheiten zurückfallen und noch vor der Berufungsverhandlung weitere Diebstähle begehen wird, was es unter dem Gesichtspunkt der beförderlichen Führung von Strafverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden gilt (E. 3.3).

Grenzfall?

Insgesamt ergibt sich, dass es sich vorliegend sowohl in Bezug auf die für die Annahme von Wiederholungsgefahr erforderliche Schwere der nach einer Entlassung zu erwartenden Delikte als auch in Bezug auf die Dauer der Untersuchungs- und Sicherheitshaft im Verhältnis zur zu erwartenden Strafe um einen Grenzfall handelt. In einem solchen räumt das Bundesgericht der sachnäheren Vorinstanz einen gewissen Ermessensspielraum ein und weicht nicht leichthin von ihrem Entscheid ab (Urteil 1B_497/2012 vom 3. Oktober 2012 E. 2.2.3). Der angefochtene Entscheid ist daher zu schützen, die Appellationsgerichtspräsidentin hat mit der Abweisung des Haftentlassungsgesuchs kein Bundesrecht verletzt (E. 3.4).

Und was passiert, wenn das Berufungsgericht die Gewerbsmässigkeit verneint und das Verfahren als geringfügiges Vermögensdelikt mangels gültiger Strafanträge einzustellen ist? Dann muss der Kanton den Schädling entschädigen? Damit wäre ja das Ziel dann erreicht.