S(p)iegelung: Änderung der Rechtsprechung?

In einem neuen Grundsatzentscheid scheint das Bundesgericht seine Rechtsprechung nach BGE 148 IV 221 zu änern oder zumindest zu relativieren. Jedenfalls heisst es eine Beschwerde der EStV gegen einen Beschluss der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts gut (BGE 7B_515/2024 vom 03.04.2025, Publikation in der AS vorgesehen).

Im vorliegenden Fall ging es um Bankdaten, welche der ESTV elektronisch (per Mail oder über eine Plattform) herausgegeben wurden und dann auf Einsprache hin zu siegeln waren. Das BStGer hatte das Entsiegelungsgesuch der EStV gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts abgewiesen, weil die ESTV die von der Bank erhaltenen Daten auf einen USB-Stick kopierte und diesen dann siegelte (BStGer BE.2023.20 vom 03.04.2024). Das lässt ihr das Bundesgericht nun aber mit Hinweis auf die ominöse „Grobsichtung“, die natürlich keine Durchsuchung ist, durchgehen:

Die theoretische Möglichkeit einer vorzeitigen Kenntnisnahme gewisser Daten lässt sich dabei genauso wenig vermeiden, wie dies bei der Sicherstellung physischer Unterlagen wie Ordnern, Notizbüchern etc. anlässlich einer Hausdurchsuchung der Fall ist. Dies schadet aber insbesondere deshalb nicht, weil die Untersuchungsbehörde nach der Rechtsprechung zum Zwecke der vorläufigen Sicherstellung eine thematische Grobsichtung von Aufzeichnungen vornehmen darf, um zu gewährleisten, dass nur Gegenstände sichergestellt werden, die potentiell untersuchungsrelevant erscheinen (BGE 143 IV 270 E. 7.5; Urteil 1B_656/2021 vom 4. August 2022 E. 6.2). Die Befugnis zur Grobtriage gilt auch für elektronische Datenträger (THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O., N. 13a zu Art. 247 StPO; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Aufl. 2020, N. 3a zu Art. 247 StPO). In vergleichbarem Sinne weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass sie überprüfen können muss, ob die Adressatin der Editionsverfügung ihren Editionspflichten vollständig nachgekommen ist. Dies scheint in analoger Anwendung der zitierten Rechtsprechung grundsätzlich zulässig, sofern keine verfrühte inhaltliche Durchsuchung und Auswertung vorgenommen wird. Insoweit ist die vorliegende Konstellation gleich zu beurteilen, wie wenn die edierten Unterlagen von der Bank physisch per Post übermittelt worden wären. Auch in diesem Fall wird die edierende Behörde die Unterlagen kurz auf ihre Vollständigkeit hin überprüfen, bevor sie die betreffenden Umschläge oder Behältnisse versiegelt.  

Indem die Vorinstanz der Beschwerdeführerin einen schweren Verfahrensmangel unterstellt, der zur Abweisung des Entsiegelungsgesuchs führt, verletzt sie nach dem Gesagten Bundesrecht (E. 3.4.2, Hervorhebungen durch mich). 

Neuer Spruchkörper, neues Recht? Klar ist nur, dass keiner mehr weiss, was gilt.