Unprofessioneller Staatsanwalt

In der Schweiz braucht es bekanntlich sehr viel, um einen Staatsanwalt in den Ausstand zu versetzen, obwohl theoretisch ja bereits der Anschein der Befangenheit genügt. Die Summe der Verfehlungen eines Staatsanwalts im Kanton Thurgau reichte nun aber dem Bundesgericht, um den Ausstand anzuordnen (BGer 1B_278/2020 vom 18.08.2020).

4.5. Mit dem Obergericht erscheint es demgegenüber fragwürdig, dass der Beschwerdegegner dem Rechtsvertreter einer vorgeladenen und als Organ der Privatklägerin geladenen Auskunftsperson vorweg den gesamten Fragenkatalog mit Beilagen sowie internen Notizen der Ermittlungsbehörde zustellte. Dadurch kann der Eindruck einer gewissen Einseitigkeit entstehen. Die Begründung des Beschwerdegegners, die Zustellung der Unterlagen habe der Vorbereitung der Einvernahme gedient, erscheint dürftig und überzeugt für sich allein nicht. Der Eindruck von Einseitigkeit unterscheidet sich höchstens noch graduell vom Anschein der Befangenheit.  

4.6. Sodann steht es jedem Beschuldigten zu, die ihm offenstehenden Rechtsmittel zu ergreifen, ohne dass ihm dies im Strafverfahren nachteilig ausgelegt wird. Soweit der Beschwerdegegner das entsprechende Verhalten des Beschwerdeführers als “Torpedierung” des Strafverfahrens bezeichnet hat, ist das daher als unangebracht zu werten. Der angemessene Umgang mit der Verteidigungsstrategie gehört zur Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Als unvorsichtig und aufgrund der Umstände ebenfalls unangemessen entpuppt sich auch der Vorwurf, bei einem gesiegelten Bankkonto handle es sich um ein nicht versteuertes Konto, nachdem dies nachweislich nicht zutraf. Der Beschwerdegegner liess in beiden Zusammenhängen ungenügende Zurückhaltung erkennen. Es kann hier offenbleiben, ob in diesen beiden Umständen bereits eine derart schwere Verfehlung vorliegt, dass daraus eine Vorverurteilung des Beschwerdeführers abzuleiten wäre.  

4.7. Insgesamt sindmehrere vom Beschwerdeführer gegenüber dem Beschwerdegegner erhobene Vorwürfe nicht unbegründet. Dieser hat sich mitunter nicht nur ungeschickt verhalten, sondern bei seinen Untersuchungen auch nicht die erforderlicheUnparteilichkeit erkennen lassen. Ob die einzelnen Verhaltensweisen derart schwer wiegen, dass sie jeweils für sich allein als krasses Fehlverhalten einen Ausstandsgrund schaffen, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls erweckt die Summe aller zu beanstandenden Verhaltensweisen objektiv den Anschein von Befangenheit. Der vorliegende Fall weist insofern gewisse Parallelen zum Sachverhalt auf, der vom Bundesgericht im vom Beschwerdeführer angerufenen Urteil 1P.766/2000 vom 18. Mai 2001 zu beurteilen war. Die Verfehlungen sind insgesamt vergleichbar. Der Beschwerdegegner hat daher im fraglichen Strafverfahren in den Ausstand zu treten.