Unzulässiges Ausstandsgesuch

Wer einen Richter wegen Vorbefassung ablehnt, muss dies gemäss Art. 58 StPO „ohne Verzug“ anmelden, weil andernfalls auf das Ausstandsgesuch nicht eingetreten wird – Vorbefassung hin oder her.

Was „ohne Verzug“ heisst, weiss man nun aber nicht so genau. Eigentlich müsste es sich um einen funktionalen Verzug handeln, der die konkreten Umstände berücksichtigt. Wer in der Hauptverhandlung einen Ausstandsgrund erkennt, müsste ihn sicher sofort geltend machen und nicht etwa erst nach der Eröffnung des (unvorteilhaften) Urteils. Es gibt aber auch Umstände, in denen es an sich nicht notwendig wäre, sogleich zu handeln. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der vorbefasste Richter ohnehin gerade nicht mit dem Dossier beschäftigt ist, bspw. in der Phase zwischen der Anklageprüfung und der Vorbereitung der Hauptverhandlung.

Die Schweizerische Rechtsprechung stellt aber soweit ersichtlich ausschliesslich auf den Zeitablauf zwischen Kenntnis des Ausstandsgrunds und Einreichung des Ausstandsgesuchs ab. Zwei Wochen werden bereits als zu lange qualifiziert (wieso auch immer). Diese Rechtsprechung hat jüngst auch das Bundesstrafgericht zur Anwendung gebracht (BStGer BB.2016.262 vom 12.07.2016). Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgericht zog in Erwägung, dass

  • das Ausstandsgesuch so früh wie möglich, d.h. in den nächsten Tagen nach Kenntnisnahme des Ausstandsgrundes, zu stellen ist (Boog, Basler Kom-mentar, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 58 N. 5 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1B_689/2012 vom 20. Dezember 2012, E. 3; Beschluss des Bundesstrafgerichts BB.2011.23 vom 14. März 2011, E. 1.4);
  • falls die geltend gemachte Voreingenommenheit mit einer richterlichen Verfügung bzw. einem richterlichen Schreiben begründet wird, ein Zuwarten von zwei Wochen als zu lange einzustufen ist (Beschlüsse des Bundesstraf-gerichts BB.2016.111 vom 7. Juli 2016; BB.2011.23 vom 14. März 2011, E. 1.4; Keller, in Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 58 N. 3);
  • selbst bei Berücksichtigung der Ferienabwesenheit von Fürsprecher Gerrit Straub bis 16. Mai 2016 (BB.2016.105, act. 1) das vorliegende Ausstands-gesuch erst 22 Tage nach Kenntnisnahme der Stellungnahme vom 10. Mai 2016 erfolgte;
  • dieses mithin als verspätet zu qualifizieren ist;
  • nach dem Gesagten auf das Gesuch nicht einzutreten ist;

Ohne mich auf den aktuellen Fall zu beziehen, nimmt diese Rechtsprechung ganz bewusst in Kauf, dass auch abhängige, vorbefasste oder voreingenommene Richter rechtsgenüglich urteilen können. Allein dies zeigt, dass die Rechtsprechung nicht richtig sein kann.