Wozu ein Haftrichter?
Erneut kassiert das Bundesgericht einen Haftentscheid, weil es ihm bereits an den elementarsten Anforderungen fehlte (BGer 1B_302/2010 vom 17.09.2010). Der Haftrichter beschränkte sich darauf, auf den Antrag des Untersuchungsrichters zu verweisen, und fügte dem lediglich folgende Floskeln bei:
„Der dringende Tatverdacht ist gegeben. Kollusionsgefahr liegt vor. Ersatzmassnahmen können keine angeordnet werden. Die Versetzung in Untersuchungshaft ist verhältnismässig.“
Ich weiss nicht, wie oft das Bundesgericht ähnliche Fälle schon entscheiden musste. Einzelnen Haftrichtern scheint die Rechtsprechung des Bundesgerichts einfach egal zu sein. Sie können es sich leisten. In der Regel hat der Betroffene nicht die Mittel, sich beim Bundesgericht zu beschweren. Und wenn er es ausnahmsweise doch tut, erhält der Haftrichter ja wie hier eine zweite Chance. Persönliche Verantwortung für seine Entscheidungen hat ein Richter ohnehin nicht zu befürchten.
Hier aber trotzdem noch die Begründung des Bundesgerichts:
Zwar kann es grundsätzlich zulässig sein, dass der Haftrichter zur Begründung seines Entscheides auf den Haftantrag der Untersuchungsbehörde verweist (vgl.BGE 123 I 31 E. 2 S. 33 ff.). Dem hier angefochtenen Entscheid lassen sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte zur Frage entnehmen, inwiefern der Haftrichter sich mit den Vorbringen des Untersuchungsrichters in dessen Antrag vom 9. September 2010 auseinandersetzte bzw. allfällig erhobene Einwände des Inhaftierten prüfte. Nach dem in vorstehender E. 3.1 Ausgeführten ist der angefochtene Entscheid in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG aufzuheben und die Sache an den Haftrichter zurückzuweisen, damit er einen Entscheid treffe, der den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügt (E. 3.2).
Ich glaube den kantonalen Instanzen ist die Rechtsprechung des Bundesgerichts auch sonst ziemlich egal, eben genau weil sich nicht jeder wehrt und es bis zum Bundesgericht zieht bzw. ziehen kann.
Bei mir war es ja, wie schon mal gesagt, sogar so, dass das Bundesgericht explizit Weisungen gegeben hatte, die dann einfach ignoriert bzw. gar nicht durchgeführt wurden, ich finde viel krasser kann die Ignoranz fast nicht mehr sein.
Dem kann man nur zustimmen. Teils hat die Geringschätzung des BGer auch mit unserem überbordenden Föderalismus zu tun, was zu einer eingeschränkten Kognition des BGer führt. Teils auch mit einer Ist-mir-sowieso-egal-Mentalität, meinen Job habe ich auf sicher. Dies übrigens nicht nur bei Richtern, sondern auch bei Verwaltungen. Da spielt die politische Führung überhaupt nicht bzw. fehlt die Transparenz des grundsätzlich öffentlichen Handelns völlig.
Andererseits zeichnet sich das BGer oftmals auch nicht gerade durch überzeugende Begründungen aus. Man denke nur an die vielen, vielen einer Amputation gleichkommenden Prüfungen des zentralen Verhältnismässigkeitsprinzips in etlichen BGE. Diese stehen der Formulierung dieses Haftrichters in wenig nach. Gerade beim Verhältnismässigkeitsprinzip lassen sich eben Textbausteine für die wesentlichen Punkte schlecht verwenden.
@Urs. Genau mit dem Umgang des Bundesgerichts mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz habe ich auch immer wieder Mühe. Ich bekomme jeweils den Eindruck, Verhältnismässigkeit werde mit „gesundem Menschenverstand“ verwechselt, womit dann jedes Ergebnis möglich ist. Verwischt wird manchmal auch die Abgrenzung zum Kriterium des überwiegenden öffentlichen Interesses.
Das Problem liesse sich sehr einfach verbessern, wenn für jeden Richter ein öffentlich im Internet zugängliches Dossier bestände, aus welchem hervorgeht welche seiner Urteile von der oberen Instanz kassiert worden ist.