(Zu) tiefe Anforderungen an den Vermögensschaden

In Fünferbesetzung setzt sich das Bundesgericht mit dem Tatbestand des Vermögensschadens beim Betrug auseinander (BGer 6B_112/2018 vom 04.03.2019) und kommt zum Schluss, dass nicht nur eine Vermögensgefährdung tatbestandsmässig sein kann, sondern bereits eine vorübergehende Vermögensgefährdung (E. 6.2.3).

Das Bundesgericht zitiert zwar die wegweisende Dissertation von Stefan Maeder, teilt dessen Erkenntnisse aber im entscheidenden Punkt (ohne Auseinandersetzung) nicht:

Kreditbetrug besteht darin, dass der Borger beim Abschluss des Darlehensvertrages über seine Kreditwürdigkeit und damit über die Sicherheit der Forderung oder über seinen Rückzahlungswillen täuscht. Werden dem Kreditgeber nicht vorhandene Sicherheiten vorgetäuscht, ist das ganz oder teilweise ungesicherte Darlehen weniger wert als er meint [das ist in dieser Absolutheit m.E. schlicht falsch]. Der Vermögensschaden ist in solchen Fällen nicht erst bei einem definitiven Ausfall der Forderung gegeben; er tritt bereits dann ein, wenn eine qualifizierte Vermögensgefährdung (sog. Gefährdungsschaden) vorliegt. Freilich ist Betrug ein Verletzungs- und nicht ein Gefährdungsdelikt (MAEDER/NIGGLI, Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N 186 zu Art. 146 StGB). Ein Gefährdungsschaden darf deshalb nicht leichthin angenommen werden. Das Vermögen muss in einem Masse gefährdet sein, dass es in seinem wirtschaftlichen Wert vermindert ist. Dies trifft nach ständiger Rechtsprechung zu, wenn der Gefährdung im Rahmen einer sorgfältigen Bilanzierung durch Wertberichtigung oder Rückstellung Rechnung getragen werden muss, weil ein objektivierbares Ausfallrisiko besteht (…). Die erhebliche [sic!] Unsicherheit über die Einbringlichkeit des gewährten Darlehens bedeutet mit anderen Worten nicht nur eine Gefährdung des Vermögens in der Höhe des Darlehensbetrages, sondern gleichzeitig auch einen Schaden in der Höhe eines Teilbetrages desselben (BGE 102 IV 84 E. 4 S. 88; Urteile 6B_1231/2016 vom 22. Juni 2017 E. 7.4, 6B_910/2015 vom 13. Januar 2016 E. 2.2.1; vgl. BGE 142 IV 346 E. 3.2 S. 350; 129 IV 124 E. 3.1 S. 125; 122 IV 279 E. 2a S. 281; HANS VEST, Allgemeine Vermögensdelikte, in: Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, Ackermann/Heine [Hrsg.], 2013, S. 308 Rz. 202). Massgebend für den Zeitpunkt der Schädigung – und die Vollendung des Betrugs – ist der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts [in diesem Zeitpunkt ist das Darlehen noch nicht einmal ausgerichtet]. Bereits ab diesem Moment hätte die Darlehensforderung bedeutend leichter und besser an einen Dritten abgetreten werden können, wären die Angaben wahr gewesen [wieso?]. Eine vorübergehende Schädigung genügt. Späterer Ersatz schliesst Betrug mithin nicht aus; selbst eine vertragsgemässe Rückzahlung kann die schon beim Vertragsabschluss eingetretene Vermögensverminderung nicht ungeschehen machen (BGE 123 IV 17 E. 3d S. 22; 122 II 422 E. 3b/aa S. 430; 120 IV 122 E. 6b/bb S. 135; 102 IV 84 E. 4 S. 88; in BGE 141 IV 3]69 nicht publ. E. 8.1.2 des Urteils 6B_462/2014 vom 27. August 2015; in BGE 144 IV 52 nicht publ. E. 3.3 des Urteils 6B_150/2017 vom 11. Januar 2018; Urteil 6B_663/2011 vom 2. Februar 2012 E. 2.4.1). Vorliegend kommt es daher auch nicht darauf an, ob die kreditgebende Bank eine nach Grundsätzen der Rechnungslegung allenfalls herabzusetzende Bewertung in ihrer Bilanz bereits effektiv berücksichtigt hatte, als sie die Forderung am 1. Juli 2010 an eine andere Bank abtrat (E. 6.2.2, Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich).

Nach dieser Rechtsprechung wäre jede Kreditgewährung schadensgleich, denn ein Kredit ohne Kreditrisiko ist per definitionem ausgeschlossen. Jede arglistige Täuschung vor Abschluss des Kreditvertrags wäre nach Bundesgericht automatisch auch ein Vermögensschaden.