Fehlkonstruktion amtliche Verteidigung

Die Staatsanwaltschaft hat in einem Strafverfahren gegen die Höhe der Entschädigung der amtlichen Verteidigung Berufung und vorsorglich auch Beschwerde eingelegt. Beide Rechtsmittelinstanzen sind nicht eingetreten, weshalb die Staatsanwaltschaft mit Erfolg das Bundesgericht angerufen hat. In einem zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil (BGE 6B_611/2012 vom 18.04.2012) entscheidet das Bundesgericht verschiedene wichtige Fragen.

Zuerst anerkennt das Bundesgericht ein Recht der Staatsanwaltschaft, die Höhe der Entschädigung überhaupt anzufechten:

Die Staatsanwaltschaft kann namentlich auch die Höhe der Entschädigung für die private Verteidigung im Sinne von Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO anfechten (Urteil 6B_168/2012 vom 27. August 2012 E. 2 und 3). Gleich zu entscheiden ist, wenn es um die Entschädigung des amtlichen Verteidigers geht. Die Beschwerdeführerin weist zutreffend darauf hin, dass die Interessen des amtlichen Verteidigers bei der Festsetzung des Honorars denjenigen des Verurteilten widersprechen. Der Verurteilte, der die Verteidigerentschädigung bei günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen zurückzahlen muss, ist an einer tiefen Entschädigung interessiert, während der Verteidiger einen hohen Betrag will. Dies rechtfertigt die Rechtsmittellegitimation der Staatsanwaltschaft (E. 2).

Diese Erwägung zeigt gleichzeitig, dass die amtliche Verteidigung fehlkonstruiert ist, weil ihr eine berufsrechtlich streng verbotene Interessenkollision immanent ist. Nicht ganz leicht zu verstehen ist, dass die Staatsanwaltschaft das Honorar der Verteidigung anfechten können soll. Darin liegt ein weiteres strukturelles Problem, indem indirekt auf den Aufwand der Verteidigung eingewirkt wird.

Im Weiteren klärt das Bundesgericht, dass die Festsetzung der Entschädigung Gegenstand des Urteils und damit durch die Parteien mit Berufung anfechtbar ist. Der amtliche Verteidiger dagegen muss Beschwerde führen:

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber bewusst das urteilende Gericht für die Festsetzung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers für zuständig erklärt. Dieser Entscheid – wie auch derjenige über die Entschädigung für die private Verteidigung und die weiteren Verfahrenskosten – ist Gegenstand des Urteils und kann von den Parteien mit Berufung angefochten werden, während sich der amtliche Verteidiger gegen die Höhe der Entschädigung mit Beschwerde zur Wehr setzen muss (Art. 135 Abs. 3 StPO) [E. 5.6]

Damit können sich die Rechtsmittel überschneiden. Gemäss Bundesgericht hat das Berufungsgericht bei Eintreten auf die Berufung auch die Höhe der Entschädigung zu behandeln, die mit Beschwerde angefochten wurde.

Die Zuständigkeiten der beiden Rechtsmittelinstanzen können sich folglich überschneiden, wenn eine Partei Berufung erhebt und der amtliche Verteidiger die seines Erachtens zu tiefe Entschädigung mit Beschwerde anficht. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Berufung ein reformatorisches Rechtsmittel ist. Die Beschwerde ist im Vergleich zur Berufung subsidiär. Tritt das Berufungsgericht auf die Berufung ein, so fällt es ein neues Urteil, welches das erstinstanzliche Urteil ersetzt (Art. 408 StPO). Damit entfällt das Anfechtungsobjekt des parallelen Beschwerdeverfahrens. Ist dies der Fall, sind die Einwände des amtlichen Verteidigers gegen die Höhe seiner Entschädigung jedoch mit der Berufung zu behandeln (E. 5.6).
Das leuchtet zwar ein, lässt aber Fragen offen. Klar erscheint, dass der Verteidiger, der mit der Entschädigung nicht einverstanden ist, in jedem Fall und unabhängig von anderen Rechtsmitteln persönlich Beschwerde führen muss (was gegen die Interessen seines Mandanten verstösst).